Ethik

  1. I. Philosophische Ethik
  2. II. Theologische Ethik

I. Philosophische Ethik

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1. Der Gegenstand der Ethik: Das moralische Handeln als spezifisches Element der menschlichen Grundverfassung

Unter E. (von griechisch ta ethikes theorias = auf das Ethos bezogene Theorie; Magna Moral. 1181 b 28) versteht man seit Aristoteles eine Disziplin der Philosophie, nämlich die methodisch geleitete Reflexion auf die das menschliche Handeln bestimmende Moral (von lateinisch mores = Sitten) unter dem Gesichtspunkt der Moralität. Unter Moral ist dabei das von einer gegebenen gesellschaftlichen Gruppe als verbindlich betrachtete Muster von Einstellungen, Haltungen, Regeln und/oder Normen des Handelns zu verstehen, das auch als Ethos (von griechisch éthos = Gewohnheit, Sitte, Brauch) bezeichnet werden kann. Sofern die methodische Reflexion vom Standpunkt der philosophischen Vernunft (Vernunft – Verstand) aus erfolgt, spricht man von philosophischer E., wobei dort, wo unter E. das Ethos verstanden wird, die mit dem moralischen Handeln befasste philosophische Disziplin als Moralphilosophie (als lateinisch philosophia moralis) bezeichnet wird.

Als spezifischer Gegenstand der E. wird das Handeln des Menschen betrachtet, wobei unter Handeln jene Akte des Menschen zu verstehen sind, die auf ihn selbst als Urheber zurückgehen und ihm deshalb zuzurechnen sind, wobei ggf. auch Unterlassungen als Handeln zu verstehen sind. Die E. wird deshalb zu den Disziplinen der praktischen, d. h. von der Frage nach der Handlungsleitung bestimmten Philosophie gezählt, wobei die E. das Handeln unter dem spezifischen Gesichtspunkt der Moralität betrachtet im Unterschied zu den unter anderen Gesichtspunkten auf das menschliche Handeln reflektierenden Disziplinen wie etwa der politischen Philosophie, der Rechts– oder der Wirtschaftswissenschaften.

Die Fragestellung der E. setzt eine bestimmte Grundverfassung des Menschen voraus, nämlich jene, die ihn zu einem in spezifischer Weise handelnden Lebewesen macht. Gemeint ist die Selbstaufgegebenheit, die den Menschen in der für ihn charakteristischen Verschränkung von Ich und Leib, Subjekt- und Natursein (Subjekt) kennzeichnet und ihn zu einem der E. fähigen Lebewesen macht. Denn im Unterschied zu den anderen Lebewesen, deren Verhalten in hohem Maß von dem artspezifisch vorgegebenen Rahmen von Bauplan, Umwelt und Verhalten bestimmt ist, kann der Mensch sich dem vorgegebenen Rahmen seiner Natur nicht einfach überlassen: er kann nicht einfach leben, sondern muss sein Leben führen. Seine Lebensform ist – um Helmuth Plessners Deutung zu verwenden – die einer „exzentrischen Positionalität“ (Plessner 2003), zu der als Strukturmomente eine vermittelte Unmittelbarkeit und eine natürliche Künstlichkeit gehören. Nur im Kontext der eigenen und der ihn umgebenden Natur und im Medium der ihn umgebenden anderen Menschen und die durch sie vermittelte Kultur vermag der Mensch sich selbst zu dem zu machen, der er dann ist.

Die für seine Lebensform charakteristische Selbstaufgegebenheit verweist auf die Freiheit, unter der sich sein Handeln vollzieht und das dieses Handeln vom bloßen Verhalten unterscheidet. Denn für die Ausführung der vom Menschen beabsichtigten Handlung bedarf es der Handlungsfreiheit und für die Wahl der intendierten Handlung der Wahl- oder Willensfreiheit, wobei die zahlreichen faktischen Einschränkungen die vom Handelnden unterstellte Freiheit nicht aufheben. Unabhängig von der (theoretischen) Frage, wie das Verhältnis von Freiheit und Determinismus im menschlichen Handeln zu bestimmen ist, genügt für den Nachweis der im Zusammenhang der E. unterstellten Freiheit der Verweis auf die vom Handelnden gemachte Erfahrung, dass er im gegebenen Fall auch anders hätte handeln können. Ohne diese Annahme interner Freiheit wäre es nicht zu erklären, dass wir uns und anderen Handlungen zurechnen, uns wechselseitig für sie zur Rechenschaft ziehen und von der vom Handelnden zu übernehmenden Verantwortung für sein Handeln sprechen, wobei die Mehrstelligkeit dieses Begriffs (wer, für was, vor wem) den Vorzug hat, den komplexen Zusammenhang deutlich zu machen, über den sich die normative Handlungsleitung in modernen Gesellschaften zur Geltung (Norm) bringt.

Anthropologisch (Anthropologie) betrachtet sind Moral bzw. Ethos als unverzichtbare Elemente der spezifischen conditio humana zu betrachten. Als ein bestimmtes Muster von Einstellung und Haltungen, Überzeugungen und Regeln bilden sie die kulturelle Vorgabe, durch die sich das menschliche Handeln zu seiner jeweiligen Einheit integriert und welche das handelnde Individuum befähigt, jene ihm eigene personale Identität auszubilden, die sich im Gewissen (Gewissen, Gewissensfreiheit) als Instanz der zur conditio humana gehörigen Anlage reflexiver Selbstthematisierung zur Geltung bringt.

2. Die Fragestellung der Ethik: Die Prüfung des Handelns vom „Standpunkt der Moral“

Die Fragestellung der E. ergibt sich aus der Perspektive, in der das menschliche Handeln für sie zum Gegenstand wird. Maßgeblich ist nicht die Sicht des neutralen Beobachters, für den Handeln als ein von Ursachen bewirktes Ereignis mit bestimmten Folgen erscheint, sondern die des Teilnehmers, d. h. des aktiv Handelnden, der mit seinem Tun ein von ihm intendiertes Ziel verfolgt, wobei auch das Unterlassen ein Tun sein kann. Während in der erstgenannten Perspektive die Ursachen im Vordergrund stehen, die das jeweilige Handeln als ein durch diese Ursachen bewirktes Ereignis erscheinen lassen, sind für das Handeln aus der Perspektive des Handelnden die Gründe konstitutiv, die den Handelnden zu seiner Absicht führen, wobei selbstredend auch die Umstände, unter denen sich die jeweilige Handlung vollzieht, von Bedeutung sind.

Handlungen, die Gründen folgen, welche der Handelnde zu seiner Absicht macht, erfolgen aufgrund ihrer teleologischen Struktur stets unter einer bestimmten Differenz, gemäß denen die für das Handeln jeweils maßgeblichen Gründe von den nicht maßgeblichen unterschieden werden. Die verschiedenen Grunddifferenzen ergeben sich aus dem Richtungssinn, der für eine bestimmte Art des Handelns konstitutiv ist, und bringen sich meist in Form einer binären Kodierung zur Geltung. Während etwa – so Aristoteles – für die Handlung des (theoretischen) Erkennens die Differenz von wahr oder falsch und für die des Herstellens (poiesis) die von richtig oder falsch maßgeblich ist, steht das Handeln in Form der praxis, in der sich der Mensch als Mensch vollzieht, unter der Differenz von gut (richtig) oder böse (schlecht), wobei die Handlungsform der praxis nach Aristoteles den Zweck in sich selbst trägt, während poiesis und theoria auf externe Zwecke bezogen sind.

Für Moral bzw. Ethos ist die unter den Begriffen von gut (im Sinn von ethisch richtig) und böse (i. S. v. ethisch schlecht) in den Blick kommende Differenz konstitutiv. Sie thematisiert ein Merkmal des Handelns, dessen Eigenart sich darin zeigt, dass wir in Bezug auf alle anderen Charakterisierungen einer Handlung abschließend stets noch sinnvoll fragen können, „ob sie auch gut ist“ (Moore 1996: 82). Da es Handlungen gibt, die als solche in moralischer Hinsicht weder als gut noch als schlecht zu nennen sind, geht die Logik der ethisch handlungsleitenden Urteile (deontische Logik) von einer Dreiteilung aus, die neben gebotenen und verbotenen Handlungen auch indifferente vorsieht.

Der Standpunkt, von dem aus im Blick auf jedwedes Handeln gefragt wird, ob es gut ist, kann als der Standpunkt der Moral bezeichnet werden. Charakteristisch für diesen Standpunkt ist, dass jeder, der handelt, sofern er handelt, diesen Standpunkt bereits eingenommen hat, was immer er konkret-inhaltlich als gut oder böse beurteilt. Es ist der Standpunkt der Moral, der die für die Moral charakteristische Bewertung der menschlichen Handlungen möglich macht und der zugl. den Verbindlichkeitsanspruch der Bewertung zum Ausdruck bringt, wobei die Bewertung der Unterscheidung nach gut und böse oder nach geboten, verboten oder erlaubt folgen kann.

Auf dem skizzierten Hintergrund lässt sich die Fragestellung der E. präzisieren: Ihre Aufgabe ist es, die Gründe, die eine Handlung als moralisch gut oder schlecht bzw. als geboten, verboten oder erlaubt erscheinen lassen, zu eruieren und auf ihre Gültigkeit zu prüfen. Der Standpunkt der Moral, den der Handelnde immer schon eingenommen hat, wird von der E. im Blick auf die Art seiner Verbindlichkeit, die daraus sich ergebenden Kriterien und die Sinnkontexte thematisiert und reflektiert, in die er eingebettet ist. In diesem Sinn verstehen sich alle bedeutsam gewordenen ethischen Theorien (wie sie etwa bei Aristoteles, Thomas von Aquin, Immanuel Kant, David Hume oder Jeremy Bentham begegnen) als Auslegungen des lebensweltlich eingenommenen Standpunkts der Moral, nicht als dessen Ersetzung.

3. Die Fragestellung der Metaethik: Logisch-semantische Analyse der Moral

Die als Meta-E. bezeichnete Reflexion auf das moralische Urteilen und Handeln analysiert in theoretischer Perspektive die logisch-argumentative Form des praktischen Urteilens (Praktische Urteilskraft) und Handelns, die epistemologische Qualität und den semantischen Status der verwendeten Grundbegriffe und die damit verbundenen ontologischen Implikationen. Dabei spielt die Frage, ob und wenn ja, in welcher Weise der Verbindlichkeitsanspruch der Moral zu prüfen ist, die entscheidende Rolle. Der Deutung der moralischen Ansprüche als Aussagen, die wahrheitsfähig und rational begründbar sind (Kognitivismus) steht die Deutung gegenüber, die moralische Ansprüche nicht für wahrheits- und begründungsfähig hält (Nonkognitivismus). Dabei wird neben der bes. von D. Hume, und dem späteren Emotivismus vertretenen Position, die moralische Ansprüche auf Gefühle (moral sentiments) zurückführt, die als Präskriptivismus bezeichnete Deutung (so Richard Mervyn Hare: „Die Sprache der Moral“ [1972]) vertreten, die den letzten Ursprung der Verbindlichkeit in einer nicht weiter begründbaren Dezision (Entscheidung) sieht.

Für die kognitivistische Deutung stellt sich die Frage, ob und wie der Ausgang vom Standpunkt der Moral der Begründung bedarf, ob zu seiner Rechtfertigung die Selbstreflexion auf den Eigensinn des Moralischen genügt oder eine Art Letztbegründung erforderlich ist. Ferner ist zu erörtern, ob der objektive Verbindlichkeitsanspruch allein auf die (als universal zu unterstellende) Subjektivität des Handelnden zurückzuführen ist oder ob bei der Begründung subjektunabhängige wahrheitsfähige Annahmen oder gar Entitäten eine Rolle spielen (schwacher oder starker moralischer Realismus). Als eine bes. Spielart des Kognitivismus sind naturalistische Deutungen zu verstehen, die den handlungsleitenden Anspruch moralischer Urteile auf natürliche, empirisch ausmachbare Tatsachen oder Eigenschaften bzw. deren Verbindung zurückführen möchten. Es ist der praktische und zugl. kognitive Charakter ethischer Urteile, der rein naturalistische ebenso wie rein moralistische Schlüsse als Engführungen und unmittelbare Schlüsse vom Sein auf das Sollen als Fehlschlüsse erkennen lässt.

Zu den metaethischen Fragen gehört auch die Frage nach der moralischen Bedeutung des Prädikats „gut“. In seiner moralischen Verwendung, so zeigt die Analyse, bezeichnet das Wort „gut“ keine natürliche Eigenschaft oder deren Derivat, sondern dient als attributives Adjektiv dazu, Handlungen bzw. Handlungsintentionen zu bewerten und als zu tun oder zu lassen bzw. als erlaubt, verboten oder geboten zu qualifizieren. Diese Bewertung geschieht im Blick auf ein Fiat, nämlich auf die in einem Wunsch, einer Bitte, einem Befehl oder Ähnlichem enthaltene Aufforderung, einen bestimmten Sachverhalt zu verwirklichen. Als „moralisch gut“ werden Fiats bewertet, sofern sie im Blick auf das Handeln als Handeln, d. h. im Blick auf das in ihm zu vollziehende Menschsein, gut sind, wobei die Frage, worin das gelingende Menschsein näherhin besteht, eine unterschiedliche Beantwortung finden kann. In jedem Fall stellt die Qualifikation einer Handlung oder Handlungsintention als gut im moralischen Sinn eine Bewertung dar, bzgl. derer die bereits erwähnte weitere Frage „Ist es denn auch gut?“ nicht mehr sinnvoll gestellt werden kann. Von daher liegt es nahe, unter dem höchsten Fiat, von dem her alles andere als „gut“ bewertet wird, dasjenige zu verstehen, überhaupt Fiats setzen und verfolgen zu können.

In substantivischer Verwendung dienen die Ausdrücke „Gut“ bzw. „Güter“ v. a. dazu, Gegenstände oder Eigenschaften zu bezeichnen, die wir in Werturteilen oder praktischen Urteilen als Fiats bzw. Werte beurteilen und bzgl. derer wir im Konfliktfall von Güterabwägung sprechen. Dabei spielen Unterscheidungen der Güter, wie sie die an die Stoa anschließende Tradition mit der Unterscheidung in ein selbstzweckliches Gut (bonum honestum), ein nützliches Gut (bonum utile) und ein lustbringendes Gut (bonum delectabile) kennt, eine Rolle. Der skizzierten Bedeutung von „gut“ in moralischer Bedeutung entspr. die grundlegende Funktion, die der moralischen Differenz unter den das Handeln regulierenden Differenzen zukommt: Als das maßgebliche Kriterium der Achtung bzw. Missachtung, die wir Handlungen bzw. Handlungsintentionen entgegenbringen, bestimmt sie die kommunikative Praxis durchgehend und integriert sie zu der für sie charakteristischen Einheit.

4. Die Weisen der Begründung des moralisch Guten bzw. Richtigen: Methoden der Ethik

Als sekundäre Reflexion auf die Moral hat die E. methodisch bei denjenigen Weisen anzusetzen, in denen sich moralische Verbindlichkeit im lebensweltlichen Handeln zur Geltung bringt. Dazu zählen die konkreten moralischen Urteile, die ihnen zugrunde liegenden habitualisierten Überzeugungen und Einstellungen, die sie auslösenden oder begleitenden Gefühle, die für die Handlungsleitung relevanten sozio-kulturell vorgegebenen Institutionen, die moralisch relevanten sonstigen Umstände ebenso wie das individuelle Gewissensurteil. Aufgabe der E. ist nicht deren rekapitulierende Beschreibung, sondern die in kritischer Distanz erfolgende Prüfung ihres Geltungsanspruchs. Diese Aufgabe wird bes. da dringlich, wo die eingelebte Moral auf Grenzen stößt oder die Reflexion auf den Begründungsanspruch der Moral – wie in modernen Gesellschaften – z. T. der Moral selbst wird, was dazu führt, dass E. die Funktion der Korrektur und der Weiterbildung der Moral zuwächst.

Für die Prüfung der Gültigkeit des von der Moral erhobenen Verbindlichkeitsanspruchs werden von der E. unterschiedliche methodische Wege beschritten. So kann sich die Prüfung auf das komplexe Gefüge der jeweiligen Handlung beziehen und hermeneutisch-rekonstruktiv die für ihre moralische Beurteilung relevanten Momente erheben, wie sie etwa in der aristotelischen Tradition den Stichworten wer, was, an welchem Ort, mit welchen Mitteln, warum, wie und wann (quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando) folgt, wobei das was und das warum von bes.r Wichtigkeit sind. Als Gegenstand der Handlung erscheint in dieser Analyse der praktischen Überlegung (phrónesis) das Ziel (finis), wobei zwischen dem Ziel der Handlung (finis operis) und der Absicht (finis operantis) zu unterscheiden ist. In der modernen E. begegnet diese Handlungsanalyse (Handeln, Handlung; Handlungstheorie) – wie etwa bei Nicholas Rescher – unter den Stichworten wer (Handlungssubjekt), was (Handlungstyp), wie (Modalität der Handlung), wann, wo und unter welchen Umständen (Handlungskontext) sowie warum (Handlungsziel bzw. -ursache).

Die Prüfung der Richtigkeit des Geltungsanspruchs des auf die jeweilige Handlung bezogenen moralischen Urteils kann dabei alle Faktoren mit einbeziehen oder bestimmte Faktoren als ausschlaggebend betrachten: Sie kann sich dabei auf ein vorgegebenes Gesetz oder auf den Einzelfall als Einzelfall (Kasuistik) beziehen, auf den Charakter bzw. die Dispositionen des Handelnden in Form der Tugenden abheben, die Pflichten bzw. Pflichtenkreise als maßgeblich betrachten, in der Absicht (Gesinnung) des Handelnden das moralisch entscheidende Moment der Prüfung erblicken oder die Handlung allein im Blick auf die nach einem Nutzenkriterium abzuschätzenden Folgen beurteilen, wobei bestimmte Verbindungen dieser Faktoren naheliegen.

Hinsichtlich der Verbindlichkeit stellt sich die Frage, ob das ethisch Gute deontologisch (griechisch to déon = das Gesollte) in dem mit universaler (und ggf. unbedingter) Verbindlichkeit Gesollten als dem Gerechten (Gerechtigkeit) gesehen wird, oder in dem am Endziel des menschlichen Gelingens orientierten Guten. Die Orientierung am Gerechten führt das ethisch Gute bzw. Richtige auf die Anerkennung eines obersten Prinzips der Moral zurück, an dem die einzelne Handlung bzw. Handlungsklasse zu prüfen ist. Die Orientierung am Guten leitet die moralische Verbindlichkeit vom Endziel des gelingenden Lebens ab, wobei dieses Endziel als etwas vorausgesetzt wird, das in der gegebenen Gesellschaft faktisch als handlungsleitend betrachtet wird, oder aber das im Licht des obersten moralischen Prinzips als verbindlich ausgewiesen ist, was bedeutet, das Gerechte als den normativen Kern des Guten zu betrachten. Im Fall der Orientierung am Gerechten spricht man in der E. auch von einer normativen, im Fall der Orientierung am Guten von einer evaluativen Weise der Begründung. Je nachdem, ob man die Verbindlichkeit als ein unbedingtes Sollen betrachtet oder sie als Resultat einer Abwägung der Folgen einer Handlung betrachtet, unterscheidet man zwischen deontologischen und konsequentialistischen Formen der Begründung.

Den idealtypisch zu unterscheidenden Weisen der Begründung eignen unterschiedliche Stärken: Während die Prüfung der Handlung an einem allgemeingültigen Prinzip zwar die daraus resultierende strikte Verbindlichkeit deutlich zu machen erlaubt, die Gesamtheit der moralisch relevanten Aspekte einer Handlung und ihre positive Orientierung an einem bestimmten Ethos aber nicht in gleicher Weise aufzunehmen vermag, kann die Prüfung der Handlung an der Gesamtheit der moralischen Aspekte die Handlungsleitung in einer Weise rekonstruieren und prüfen, die die Bedingungen der Möglichkeit des Gelingens und den im jeweiligen Ethos enthaltenen Entwurf gelingenden Lebens berücksichtigt, doch impliziert dies die Notwendigkeit, die moralische Verbindlichkeit zu differenzieren (vom bloßen Ratschlag, über die Empfehlung von Vorbildern bis zur unbedingten Verpflichtung). Bestimmte Begründungsstrategien kennen deshalb fließende Übergänge zwischen einer Orientierung am Gerechten und einer solchen am Guten sowie eine Verbindung von deontologischen und evaluativen Momenten.

5. Entstehung und Geschichte der Ethik

Ihrem Ursprung wie ihren Entwicklungsschüben nach kann philosophische E. als der Versuch verstanden werden, auf Krisen der Gültigkeit der geltenden Moral in der Weise zu reagieren, dass mit Mitteln der Philosophie auf die der Moral immanenten Prinzipien und Ansprüche zurückgegriffen wird, um den moralischen Grundanspruch zu prüfen und unter veränderten Bedingungen begrifflich und argumentativ zur Geltung zu bringen. Die Geschichte der E. lässt sich daher als eine Geschichte der sich ablösenden Krisen des Ethos und deren Lösungsversuche verstehen, wobei in Fragestellung und Lösungsversuchen offensichtlich bestimmte strukturelle Möglichkeiten wiederholt begegnen.

Als eigene Disziplin der Philosophie begegnet die E. zum ersten Mal in den ethischen Untersuchungen des Aristoteles. Doch es ist bereits Sokrates, der im Rahmen der griechischen Sophistik auf die Krise des bis dato als sakral geltenden „väterlichen Nomos“ mit der Frage nach der Legitimation der geltenden Moral reagiert und dem Rekurs auf die physische Natur des Menschen und seine Konsequenzen in Form einer Moral der Ansprüche der Starken oder einer solchen des Ressentiments der Schwachen einen neuen Weg entgegenstellt, nämlich dem Guten, weder aus bloßem Gehorsam gegenüber der Autorität noch aus blinder Anpassung an die Meinung der Vielen zu folgen, sondern mit Hilfe der Vernunft zu ermitteln, was das jeweils objektiv gebotene Gute ist, wobei sich die Frage nach der Gültigkeit des Guten, der Vernunftbezug des Handelnden („Ich folge dem Logos“: Platon, Kriton, 46 b) und sein Selbstverhältnis („Erkenne dich selbst“: Platon, Alkibiades I, 128 e–131 c) als eine unlösliche Einheit erweisen.

Dem von Platon verfolgten Ansatz, das jeweilige Gute in einer Ordnung (táxis) von Ideen und deren Gründung in der Idee eines metaphysisch interpretierten höchsten Guten zu sehen, hält Aristoteles entgegen, dass E. es als „praktische Wissenschaft“ (NE 1103b 26–31; 1138b 3–1139b 13) mit einem durch menschliche Praxis zu erwirkenden Guten hat, dessen letzter Maßstab im gelingenden Leben des Menschen (eudaimonía) zu erblicken ist, das sich im Handeln (práxis) gemäß denjenigen Tugenden herstellt, in denen die Natur des Menschen ihre Erfüllung findet. Durchführbar ist sie in Form einer Lehre von den Handlungsdispositionen, den Tugenden, die den Guten auszeichnen und deren Gesamtmuster im Ethos der idealtypischen, auf Selbstbestimmung durch Vernunft beruhenden Polis greifbar wird, also normativ betrachtet eher vorausgesetzt als selbst noch einmal begründet wird. Methodologisch verbindet die E. in Form praktischen Schließens die durch eine Hermeneutik der Tugenden bzw. des Ethos gewonnenen Ziele mit den konkreten Handlungen als Mittel, d. h. als kritische methodische Rekonstruktion und Prüfung der als Klugheit (phrónesis) bezeichneten praktischen Überlegung.

Für die Stoa ist E. weitgehend Tugendlehre, deren Verbindlichkeit nicht auf das Ethos der Polis zurückgeführt, sondern durch Rekurs auf die Natur ersetzt wird, was sich in dem Prinzip „Handle gemäß der Natur“ niederschlägt, welches als das der menschlichen Vernunft eigene „natürliche Gesetz“ bezeichnet wird, durch das der Mensch an der Ordnung teilhat, die durch die den Kosmos bestimmende Vernunft („Weltseele“) bestimmt ist. Formal deutet sich in der Abhebbarkeit des Prinzips vom konkreten handlungsleitenden Urteil – ungeachtet des problematischen Rückgriffs auf eine metaphysisch verstandene Natur – die dem sittlichen Urteil eigenen Mehrstufigkeit an, welche die Voraussetzung dafür ist, das der Natur des Menschen entspr. wahre Wollen als ein ihm auferlegtes Sollen und das sittliche Urteil als ein im Gewissen (syneídesis = Mit-Wissen um das eigene Tun) offenkundig werdendes Selbstverhältnis zu verstehen.

Zu einer signifikanten Weiterentwicklung der E. kommt es, als die Wiederentdeckung der aristotelischen E. im lateinischen Westen des 13. Jh. zu einer neuen Problemkonstellation führt: Wie lässt sich der alttestamentliche und auf andere Weise in der Stoa begegnende Gedanke des Gesetzes, die von Paulus und Augustinus, unter dem Begriff des Gewissens auch von der Stoa apostrophierte, aber bis dato aporetische bleibende Rolle des willentlichen Selbstverhältnisses und das im Liebesgebot kulminierende christliche Ethos in ein Verhältnis bringen, das den von Aristoteles formulierten Ansprüchen einer E. als praktischer Wissenschaft entspr., die zeitgebundene Ethosrelativität des aristotelischen Entwurfs aber durch eine differenzierte normative Theorie vermeidet?

Greifbar wird die Wende bei Thomas, der nicht nur in STh II-II zum ersten Mal einen eigenen der Moral gewidmeten Traktat vorlegt, der in Form einer Tugendlehre, die das Gesamt der Tugenden unter den theologischen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe integriert. In STh I-II schickt er dem eine Untersuchung voraus, in dem er die tugendethisch sich vollziehende praktische Überlegung als einen praktischen Schluss interpretiert, welcher den moralischen Anspruch, der der praktischen Vernunft als „natürliches Gesetz“ (lex naturalis) eigen ist, im Blick auf die „natürlichen Strebungen“ (inclinationes naturales), in deren Rahmen sich das menschliche Handeln vollzieht, zu einem die jeweiligen moralisch relevanten Umstände aufnehmenden Handlungsentwurf konkretisiert. Damit gewinnt die in der Stoa sich andeutende Mehrstufigkeit der praktischen Vernunft eine für die E. konstitutive Rolle. Durch die Abhebung eines obersten praktischen Prinzips („Das Gute ist zu tun, das Böse zu meiden“: STh I-II, 94), das die Verbindlichkeit und die Nichtwidersprüchlichkeit der das oberste Prinzip konkretisierenden praktischen Urteile zum Ausdruck bringt und den die Konkretion bestimmenden Rekurs auf die evaluativ ausgezeichneten Grundstrebungen des Menschen, vermag Thomas den (bei Aristoteles nur schwach zum Ausdruck kommenden) normativen Anspruch der Moral, also die Moralität, explizit zur Geltung zu bringen. Damit deutet sich eine ethische Theorie an, welche den normativen Anspruch der Moral mit der (meta-normativen) Rolle der durch ein Selbstverhältnis sich auszeichnenden menschlichen Natur und dem Entwurf gelingenden Lebens in Form des Ethos in einer zukunftsfähigen Form verbindet.

Einen weiteren Entwicklungsschritt der E. stellt die von Johannes Duns Scotus entwickelte zu einem neuen Verständnis der Freiheit führende Deutung des Willens als eines Vermögens urspr.er Selbstbestimmung dar. Denn wenn in der Bestimmung des Willens der Kern des sittlichen Akts gesehen wird und das „natürliche Gesetz“ vom Willen fordert, sich als Wille zu vollziehen, d. h. sich durch nichts anderes als durch die das Objekt als gut beurteilende Vernunft (recta ratio) bestimmen zu lassen, kann die E. an Stelle einer an naturalen Strebenszielen orientierten handlungsleitenden Disziplin als eine das positiv-kontingent vorgegebene Ethos (ordinatio) an seiner Kohärenz (consonantia) mit der moralisch geforderten Willensbestimmung prüfende Vernunft-E. verstanden werden.

Doch kommen die beiden (vom theologischen Kontext provozierten) Einsichten in die Funktion eines die Moralen übergreifenden natürlichen Gesetzes und die Freiheit der Willensbestimmung als Kern der Moralität erst nach Fortführung durch die spanische Spätscholastik mit der Moderne, d. h. nach Eintritt des Orientierungsverlusts zur Geltung, der nach Auflösung der mittelalterlichen Einheit von Staat, Gesellschaft, Religion, Kultur und Recht zu einer neuen Vergewisserung der Grundlagen des Handelns führt.

Es ist Thomas Hobbes, der bei der unkontrovers zu sein scheinenden Natur ansetzt. Versteht man sie als Antagonismus von Machtstreben (Macht) und Todesfurcht, so folgt als „Gesetz der Natur“ die Vorschrift der Vernunft, durch Vertrag (Vertragstheorien) auf das urspr.e „Recht auf alle Dinge“ zu verzichten und im Artefakt des Staates die Instanz der die Selbsterhaltung verbürgenden ethischen und rechtlichen Normierung zu sehen.

Während T. Hobbes den Rekurs auf die Natur mit der Konstruktion der Moral als kontraktualistisches Werk des Menschen verbindet, greifen die frühneuzeitlichen Theoretiker des Völkerrechts wie Hugo Grotius und Samuel von Pufendorf zur Behebung der Kontroversen auf den Gedanken eines den Moralen voraufgehenden Naturrechts als Vernunftrecht zurück, womit ein weiterer Schritt in Richtung vorpositiver Grund– oder Menschenrechte getan ist, die E. freilich zu einem Teil des Rechts wird bzw. in zentralen Teilen vom Recht abgelöst wird.

Um die Kontroversen der Moralen zu vermeiden, geht I. Kant von der (der Sache nach bereits bei J. Duns Scotus begegnenden) Deutung der Moralität als Verbindung von Willensprimat und Rationalitätsforderung aus und sieht in der Autonomie, d. h. im „Selbstverhältnis des vernünftigen Willens“ die notwendigen Bedingungen der moralischen Richtigkeit bzw. Moralität, was die Vernunft als „a priori gesetzgebend für die Freiheit und ihre eigene Kausalität“ (Kant 1968a: 195) erscheinen lässt. Wenn aber der Forderung der reinen praktischen Vernunft aus „Achtung fürs Gesetz“ (Kant 1968: 400 f.) zu folgen, den „guten Willen“ ausmacht, ist E. vorrangig Prüfung der subjektiven Handlungsmaximen an der unbedingt geltenden und im Kategorischen Imperativ zum Ausdruck kommenden Form ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit, was nach I. Kant auch als die Forderung zu verstehen ist, „die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel“ (Kant 1968a: 429) zu gebrauchen.

Die angewandte Ethik der Neuzeit orientiert sich zunehmend an dem Begriff der Pflichten (gegenüber Gott, den Mitmenschen und sich selbst).

Gegen diese Deutung der E. als kritische Prüfung der den Kern der Moral ausmachenden Autonomie als einem freien Selbstzwang des Willens wendet Georg Wilhelm Friedrich Hegel ein, dass E. nicht umhin kann, sich an den in den Institutionen wie Familie, Recht und Staat substantiell gewordenen Sittlichkeit zu orientieren, soll sie nicht abstrakt und inhaltsleer werden.

Mit der fortschreitenden Moderne sehen sich die „klassischen“ ethischen Ansätze neuen Herausforderungen ausgesetzt: Das Auseinandertreten der sich entwickelnden Natur- und Geisteswissenschaften, die Konjunktur der damit verbundenen szientistischen bzw. historistischen Deutungen (Charles Darwin, Karl Marx, Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche) wie auch die die modernen Gesellschaften kennzeichnende Pluralisierung der Moral lassen den Bedarf an einer auf diese Probleme reagierenden E. wachsen, ohne dass die mit dieser Entwicklung einhergehenden empiristischen, emotivistischen und dezisionistischen Deutungen der Moral als Problemlösungen zu überzeugen vermögen.

Der Versuch, die Moralität des Handelns durch eine die Folgenabschätzung in den Mittelpunkt rückende utilitaristische E. (Utilitarismus) überzeugend zu deuten, kann zwar durch die Verbindung eines Transsubjektivitätsprinzips mit einem Nutzenprinzip die Kognitivität des Moralischen wahren und die Anschlussfähigkeit der E. an die Zwecknutzenrationalität der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften herstellen, bleibt aber dem Einwand ausgesetzt, dass die Fokussierung auf die Folgen die moralisch relevanten Charakteristika menschlichen Handelns ungebührlich verkürzt und das Kalkül Gefahr läuft, den Einzelnen im Blick auf das Gesamtwohl zu mediatisieren. Ist aber, wie John Rawls gezeigt hat, die Vorordnung eines Gerechtigkeitsprinzips zwingend, wird die Folgenabschätzung zu einem nachgeordneten Element der E.

Versucht man die geschichtlich begegnenden Formen der E. nach Grundtypen zu differenzieren, so lässt sich entspr. den darin maßgeblich hervortretenden Leitbegriffen eine Gliederung nach drei ethischen Modalitäten vornehmen, nämlich in die einer Gesetzes-E. bzw. einer (theologisch im Dekalog hervortretenden) Gebots-E., einer (nach Kardinaltugenden systematisierten und durch die drei theologischen Tugenden ergänzten) Tugend-E. und im Zuge der Aufklärungsphilosophie einer (in subjektrelative Pflichtenkreise gegliederten) Pflichten-E. Makroskopisch betrachtet lässt sich sowohl in der theologischen als auch in der philosophischen E. eine nicht nur historisch, sondern zugl. systematisch relevante Abfolge dieser Grundtypen feststellen, was sachlich erheblich unterschiedliche Argumentationsstrategien im Gesamtverständnis E. und in angewandter E. zur Folge hatte und zu der Frage führt, inwieweit die gegenwärtige E. sich neben der fortwirkenden Präsenz der genannten Grundtypen nach neuen Leitbegriffen wie dem der Verantwortung bzw. der E. von Sachbereichen gliedert.

6. Moderne Entwicklungen: Ethik der Sachbereiche

Was die E. der späten Moderne mit spezifisch neuen Herausforderungen konfrontiert, ist die Entwicklung bislang unbekannter hoch effizienter Handlungsfelder, wie sie sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. im Zuge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts (Nuklear-, Bio-, Informationstechnologie und ähnlichem) und der weltweiten gesellschaftlich-zivilisatorischen Veränderungen herausgebildet haben. Wie die seitdem geführte Diskussion gezeigt hat, zwingen sie dazu, angestammte Aufgaben der E. wie die der Handlungsleitung, der Bezugnahme auf die geltende Moral, der Wahrung der Einheit des moralischen Feldes und die Herstellung handlungsermöglichender Konsense neu zu bestimmen.

Was die neuen Handlungsfelder zur bes.n Herausforderung werden lässt, ist ihre Neuartigkeit (sowohl was die Erkenntnisse als auch die Handlungsmöglichkeiten betrifft), ihre Bindung an eine eigene bereichsspezifische pragmatisch-normative Handlungsrationalität (wie etwa die moderner Wirtschaft), die Unübersehbarkeit der jeweiligen Folgenräume und v. a. die Schwierigkeit, sie in eine lebensweltliche Moral zu integrieren, deren Pluralisierung die Ausbildung normativer Konsense in Bezug auf unbekannte Handlungsfelder erschwert und von neuartigen gesellschaftlichen Diskursen abhängig macht.

Reagiert hat die E. bislang mit neuen Formen einer Angewandten E. (Applied Ethics), Modellen einer Praktischen E. (Practical Ethics) bzw. eigenen Sachbereichs-E. Dass die angestammte Aufgabe, welche die E. zu einer praktischen Disziplin macht, nämlich die Thematisierung der Handlungsleitung und damit der Anwendung des moralischen Anspruchs, nun eigens gefordert wird, zeigt das diesbezügliche Defizit der modernen Regel-E. ebenso wie die bes. Schwierigkeit, für die neuen Handlungsfelder überzeugende Regeln der „Anwendung“ zu formulieren.

Methodologisch wurden verschiedene Ansätze mit unterschiedlichem Erfolg entwickelt: Deduktivistische Ansätze erwiesen sich im Blick auf konkrete Handlungsleitung als „leer“, offensichtlich weil sie zu stark theoretischen Begründungsmodellen folgten, kasuistische und rein tugendethische Ansätze konnten zwar eine größere Nähe zur konkreten Handlungskonstellation herstellen, waren aber der Schwierigkeit ausgesetzt, moralische Evidenzen in Anspruch zu nehmen, hinsichtlich derer in modernen Gesellschaften nicht einfach Konsens unterstellt werden kann.

Bes. Überzeugungskraft haben daher Ansätze gewonnen, die man als rekonstruktiv bezeichnen kann, insofern sie die praktische Überlegung, die den Anspruch der Moral mit der pragmatisch-normativen Logik des betreffenden Handlungsfeldes und den gesellschaftlich relevanten Umständen (wie Zielen und Folgen) verbindet, zum Modell der Normfindung bzw. -rechtfertigung durch die E. machen. Wie v. a. im Bereich der biomedizinischen E. (Bioethik) festzustellen, wird dabei in unterschiedlicher Weise auf die common morality Bezug genommen: So wird zum einen – dem Rekurs auf bestehende normative Evidenzen nach Art des angelsächsischen case law folgend – auf sog.e mittlere Prinzipien zurückgegriffen, für die ein Konsens unterstellt werden kann, wobei formale Prinzipien (wie respect for autonomy) mit eher tugendethisch verankerten Einstellungen (wie beneficence oder justice) verbunden werden. Die Konkretion zur Handlungsleitung wird dann in Verfahren eines reflective equilibrium gesehen, das mit Spezifizierung (specification) und Abwägung (balancing) verbunden ist. Einen anderen Weg schlägt der in Kontinentaleuropa verfolgte Ansatz ein, den overlapping consensus für die gesuchte Handlungsleitung im Rückgriff auf Menschenrechte bzw. Grundrechte herzustellen.

Ohne in den bislang verfolgten Wegen der Angewandten E. bereits das Paradigma für eine der Gegenwart entspr.en E. zu sehen, lassen sich der Diskussion um diese Ansätze doch beachtenswerte Anforderungen an eine solche E. entnehmen.

7. Eckpunkte der Ethik als normativer Theorie

Soll E. als eine praktische Disziplin verstanden werden, die das Feld konkreten moralischen Handelns in der Gesamtheit der dieses Feld bestimmenden normativen Momente (Einstellungen, Haltungen, Ziele, Güter und soziale Institutionen) zum Gegenstand hat, muss sie als eine kritische Reflexion der geltenden Moral vom Standpunkt der Moral aus verstanden werden mit dem Ziel, die objektive Gültigkeit bzw. Richtigkeit der moralischen Ansprüche zu prüfen und zur Geltung zu bringen. In entwickelten Gesellschaften kann diese Reflexion zu einem Moment der Moral selbst werden oder zur Entstehung von Moral in Bezug auf neue Handlungsfelder beitragen.

Eine Rechtfertigung moralischer Ansprüche durch Prüfung der Gründe wird die (impliziten oder expliziten) handlungsleitenden Urteile als präskriptive Sätze verstehen, die unter der moralischen Differenz von „gut – böse“ bzw. „geboten – verboten – erlaubt“ der Begründung bedürftig und fähig sind, und davon ausgehen, dass es eine spezifische Wahrheit praktischer Sätze (Aristoteles) gibt bzw. von einem (schwachen) moralischen Realismus ausgegangen werden kann.

Dies erlaubt es, das handlungsleitende Urteil als Konklusion eines praktischen Schlusses zu verstehen, dessen mehrstufige Struktur ein komplexes Gefüge von Prinzipien, kognitiven und emotiven Einstellungen, moralisch relevanten Umständen und ähnlichem umfasst. Seine Gültigkeit zeigt sich daher in einer kritisch-reflexiven Prüfung der normativen, evaluativen und deskriptiven Prämissen, die in den handlungsleitenden Schlusssatz eingehen und in die konkrete Handlung münden.

Die Gestalt einer normativen Theorie nimmt die E. an, wenn sie diesen Zusammenhang expliziert durch eine Analyse a) der Grundbegriffe und Argumentationsformen, b) der Definition und Begründung des obersten moralischen Prinzips, c) der Angabe der weiteren normativen, evaluativen und deskriptiven Prämissen und d) der Form der konkreten Anwendung:

a) Bei der Analyse der Grundbegriffe und Argumentationsformen wird sie aus den bereits genannten Gründen einem kognitivistischen Deutungsansatz und hinsichtlich der hermeneutisch-evaluativ zu bestimmenden Prämissen den Annahmen eines schwachen Realismus folgen.

b) Der normative Anspruch, der den handlungsleitenden Sätzen der Moral eigen ist, verlangt zu seiner Explikation die Angabe eines obersten praktischen Prinzips, das im Standpunkt der Moral wirksam wird und von den ethischen Theorien unterschiedlich ausgelegt wird: als Explikation eines mit der Vernunftnatur des Menschen verbundenen urspr.en Wollens (Aristoteles), das durchaus als ein der Vernunft eigener oberster Anspruch des Sollens zu verstehen ist (Thomas, J. Duns Scotus u. a.); eines im Anspruch der praktischen Vernunft gelegenen und sich in einem obersten Imperativ der Willensbestimmung artikulierenden Sollens (I. Kant); einer im aufgeklärten Selbstinteresse des Menschen liegenden Grundforderung, sich wechselseitig anzuerkennen und zu respektieren (kontraktualistische Ansätze, Vertragstheorie); einer im kommunikativen Handeln stets vorausgesetzten Bindung an die Kriterien der Zustimmungsfähigkeit aller praktischen Sätze (Diskursethik); einer Forderung, die eigenen Interessen zu überschreiten und dem Maßstab des größten Gesamtnutzens zu unterwerfen; einer in der Lebensform der Selbstverständigung gelegenen Grundmaxime oder eines in der Freiheit selbst gelegenen Anspruchs. Im Blick auf diese in ihrer Angemessenheit höchst unterschiedlich zu beurteilenden Deutungen ist die für das oberste Prinzip maßgebliche Funktion festzuhalten, nämlich zugl. den maßgeblichen Grund der Unterscheidung und Bewertung und den unbedingten Grund der Verpflichtung anzugeben. Da das oberste Prinzip als Auslegung des vom Handelnden immer schon anerkannten Standpunkts der Moral zu verstehen ist, kommt ihm ein universaler Gültigkeitsanspruch zu, der in Form der Unverletzlichkeit der Menschenwürde auch faktisch weltweite Geltung gefunden hat. Sofern das Prinzip einer Begründung bedarf, kann darauf hingewiesen werden, dass die in praktischer Absicht erfolgende Bestreitung des obersten Prinzips einen performativen Selbstwiderspruch impliziert. Die Anerkennung des obersten praktischen Prinzips ist i. d. R. in umfassendere lebensweltlich vermittelte und in unterschiedlicher Gestalt begegnende Sinnkontexte eingebettet, denen im Blick auf die kritische und innovative Ausgestaltung seiner Konkretion bes. Bedeutung zukommt.

c) Da das oberste moralische Prinzip Form und Verpflichtung aller präskriptiven Sätze angibt, nicht aber deren inhaltliche Quelle darstellt, wird eine als normative Theorie gefasste E. die Quellen und Kontexte kritisch reflektieren müssen, die als Prämissen in das konkrete moralische Urteil eingehen, also die normative Theorie (Pflicht-E.) mit den Elementen der Lehre vom guten Leben (Tugend-E.) verbinden. Zu diesen Elementen gehört an erster Stelle der meta-normative, unbeliebig-offene Rahmen von Grundstrebungen bzw. -antrieben (Interessen) und Bedürfnissen, die mit der Natur des Menschen verbunden sind und ohne den gelingendes menschliches Handeln und Leben nicht möglich ist. In den normativen Theorien begegnet diese Dimension als natürliche Neigungen, als Daseinsgrunddimensionen, funktionale humane Basisvermögen, transzendentale Interessen, als Güter und insb. als Übel geltende Sachverhalte, als allg. menschliche Bedürfnisse oder in der den Grund- oder Menschenrechten zugrunde liegende Partialanthropologie. Versteht man sie als Bedingungen der Möglichkeit der Humanität, liegt es nahe, ihren Schutz in Form von mittleren Prinzipien festzuhalten. Dabei sind auch die Ansprüche zu berücksichtigen, die aus der den Menschen umgebenden Natur erwachsen und bei deren Beurteilung der Rückgriff auf die sog.e scala naturae (wie im Tierschutz) bzw. auf Verträglichkeitskriterien (wie in der Ökologischen E.) eine Rolle spielen. Zu den Quellen des moralischen Urteils, auf die in einer als normative Theorie zu verstehenden E. Bezug zu nehmen ist, gehört auch der Bereich des Ethos, insb. diejenigen Gestalten gelingender menschlicher Sozialität, die sich im Verlauf der gesellschaftlichen Ethos-Bildung als unverzichtbare Formen gelingenden Zusammenlebens erwiesen haben und deshalb als Bestandteile der common morality zu betrachten sind. Zu den handlungsleitenden Quellen gehört aber auch der individuelle Lebensentwurf, wie er sich über das subjektive moralische Urteil zur Geltung bringt und in Form des Gewissensurteils, das die Wahrung der personalen Identität zum Inhalt hat, bes. Verbindlichkeit in der E. wie im Recht gewinnt.

d) In der konkreten Anwendung wird eine als normative Theorie gefasste E. auf die praktische Überlegung (s. o.) als Leistung der Urteilskraft zurückgreifen, die sich als kritische Rekonstruktion der zu den handlungsleitenden Urteilen führenden praktischen Schlüssen zu verstehen ist und bei der Elemente wie die Güterabwägung und das reflektierende Gleichgewicht zwischen den normativen Prämissen und den moralischen Intuitionen eine Rolle spielen.

An der Gestalt der E. als normativer Theorie zeigt sich in bes.r Weise die wechselseitige Beziehung, die die E. mit dem Recht, insb. mit dem Menschen- und Verfassungsrecht verbindet. Denn auf der einen Seite nehmen die Menschen- und Grundrechte moralische Überzeugungen auf, die sich in der Reflexion der E. als unabweisbare Momente einer ungeachtet der Vielfalt der Moralen sich zeigenden common morality erweisen. Umgekehrt ist die Akzeptanz, die die betreffenden moralischen Normen als menschen- und grundrechtlich geschützte Freiheiten und Rechte finden, für die E. ein Ausweis dafür, dass sie zu dem in der common morality greifbar werdenden normativen overlapping consensus gehören, ohne den der Zusammenhang von Kommunikation und Handeln in modernen Gesellschaften, die durch einen Plural von Binnenmoralen gekennzeichnet sind, nicht gewahrt werden kann.

II. Theologische Ethik

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1. Der Gegenstand der Theologischen Ethik: Handeln im Horizont des Glaubens

Alle Religionen enthalten im Rahmen ihrer Welt- und Daseinsauslegung Momente der Handlungsorientierung und -leitung. Doch nur in den Religionen, die – wie vornehmlich die (jüdische und) christliche Religion – Theologie als kritische Reflexion auf den (Offenbarungs-)Glauben aus der Perspektive dieses Glaubens ausgebildet haben, findet sich auch Theologische E. Als eigene Teildisziplin der Theologie wird die Theologische E. innerhalb der katholischen Theologie als Moraltheologie, neuerlich auch (wie im Bereich der evangelischen Theologie) als Theologische E. bezeichnet, wobei die vorrangig auf das soziale Handeln bezogene Theologische E. als Gegenstand einer eigenen als Christliche Sozial-E. behandelten Disziplin begegnet.

Geht man wie im christlichen Kontext davon aus, dass Theologie als die methodisch geleitete Reflexion auf Gott als die das Leben und Handeln bestimmende Wirklichkeit zu verstehen ist, dann ist Theologische E. als die Disziplin der Theologie zu verstehen, die das Handeln des Menschen unter diesem spezifischen Anspruch zum Gegenstand hat. Methodisch begegnet diese Reflexion a) als Hermeneutik, d. h. als die auf das konkrete Handeln bezogene Selbstverständigung des christlichen Glaubens oder b) als E. der Tugenden, d. h. als Gefüge von Handlungseinstellungen, in denen sich die vom christlichen Glauben geforderte Lebensform artikuliert, oder c) als E. der Pflichtenkreise, die sich aus dem Anspruch des Glaubens ergeben, oder d) als normative Theorie, die den aus dem Glauben sich ergebenden Anspruch an das Handeln in Form von Normen argumentativ ausweist und entfaltet, wobei sich in den konkreten Gestalten, in denen Theologische E. begegnet, die vier methodischen Ansätze in unterschiedlicher Weise miteinander verbinden.

Aus der Sicht der Theologischen E. stellt sich das Verhältnis zur philosophischen E. als ein Verhältnis von „Entsprechung und Differenz“ dar. Denn sofern die Theologische E. die Einheit von Schöpfer- und Bundesgott voraussetzt, nimmt sie an, dass der Glaubende (wie der Nichtglaubende) den das menschliche Handeln kraft der natürlichen (d. h. gottgegebenen) praktischen Vernunft bestimmenden „Standpunkt der Moral“ einnimmt, freilich seine Verbindlichkeit im Sinnhorizont des christlichen Glaubens wahrnimmt, was wechselseitige Kritik wie wechselseitige Verwiesenheit im Verhältnis von Theologischer zu philosophischer E. zur Folge hat.

Greifbar wird der vom christlichen Glauben ausgehende Anspruch an das menschliche Handeln für die (christliche) Theologische E. in den Offenbarungstexten des AT und NT und dem daraus im Raum der Gemeinde/Kirche erwachsenen Ethos. Es ist die Erfahrung der alles (auch den Ursprung der Welt als Schöpfung) umfassenden Wirksamkeit Gottes in der Geschichte, die dem Handeln des Menschen seine bes. Bedeutung gibt, nämlich Antwort auf das geschichtlich ergangene Handeln Gottes zu sein, durch das sich der Mensch als imago dei erfährt und die (entnuminisierte) Welt als seinen Handlungs- und Verantwortungsraum begreift. Die sittlichen Forderungen begegnen als ein auf den Indikativ des ungeschuldeten göttlichen Heilshandelns antwortender Imperativ, die Gottesbeziehung als (Rechts-)Bund. Das göttliche Gesetz (Tora, Dekalog), gemäß dem für das AT der Anspruch an das Handeln des Menschen ergeht, wird nicht als willkürliches Dekret Gottes verstanden, sondern als die durch Gottes gnadenhaftes Heilshandeln in Schöpfung und Geschichte ermöglichte Ordnung des menschlichen Handelns, wobei die einzelnen Forderungen auf eine Grundnorm zurückgeführt werden, nämlich als die auf die Liebe Gottes zum Menschen antwortende Liebe des Menschen zu Gott und zu seinem Nächsten. Da Gottes Gesetz als Werk seiner Ordnungsvernunft zu begreifen ist, wird es als kommunikabel und als prinzipiell konsensfähig und -stiftend verstanden.

Das NT geht davon aus, dass Gottes Handeln in Jesu Verkündigung und Taten wie auch durch ihn selbst, seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung hereingebrochenen Gottesherrschaft (basileia tou theou: Mk 1,14) seine definitive Gestalt angenommen hat, die für den, der sie im Glauben annimmt, zu einer Umkehr in der Handlungsorientierung führt, die bes. in der Bergpredigt als Nachfolge Jesu (Mt 5,1–7,29) beschrieben wird. Das Handeln soll für die Gemeinde der Glaubenden zum Vollzug der Gottesherrschaft werden.

2. Entstehung und Formen

Schon im NT nimmt die Frage nach der konkreten Gestalt des auf Zusage der Gottesherrschaft antwortenden Lebensvollzugs eine zentrale Stelle ein. Das mit der Neuschöpfung in der Taufe verbundene Bekenntnis des Glaubens wird zugl. als Entscheidung für das Ethos der Nachfolge verstanden, das sich in einer neuen, auf die Gottesliebe antwortenden Zuwendung zum Nächsten und in den sich bildenden Gemeinden zur einer an der Brüderlichkeit orientierten Lebensform führt (Apg 4,32). Schon in der frühen Kirche erfährt das Taufethos eine Zuschärfung im aufkommenden Asketen- und Mönchtum, das die Nachfolge als ein Leben nach den sog.en evangelischen Räten (Jungfräulichkeit, Armut und Gehorsam) versteht und darin über Ambrosius (angelehnt an Ciceros Unterscheidung zwischen officium perfectum und officium medium) einen bes.n „Stand der Vollkommenheit“ (der Nachfolge: Mt 19,21) erblickt.

Mit der Forderung nach Umkehr verbindet sich schon bald die Frage, wie mit der Rücknahme der (in der Taufe habituell gewordenen) Umkehr, d. h. mit der Schuld als Sünde umzugehen ist. Das sich entwickelnde Bußwesen und die Verfassung von Bußbüchern, die jede Art der Schuld mit einer bestimmten Buße bzw. Strafe verbinden, führen zu einer Kasuistik, die den Anspruch des christlichen Ethos in Form einer Gesetzesanwendung konkretisiert, was den Blick auf das konkrete Handeln im Einzelfall lenkt, aber zu einer (durchaus in Spannung zur Verkündigung Jesu stehenden) und bis in die (der Beichtpraxis dienenden) Poenitentialsummen des Mittelalters und die kasuistischen Handbücher der Neuzeit reichenden Verrechtlichung führt.

Die zugl. damit einhergehende Verinnerlichung, die bei der von Paulus thematisierten Dialektik der dem Glauben folgenden Willensbestimmung ansetzt und durch Augustins Thematisierung der Innerlichkeit als Ort der Gottbegegnung eine bes. Ausarbeitung erfährt, betont die Freiheit des Willens, lässt aber zugl. den bösen Willen als unerklärliches Verhängnis erscheinen.

Eine umfassendere theologische Grundlegung des aus dem Glauben folgenden Handelns, welche auf die bis dato offen gebliebenen Probleme und Fragen reagiert, erfolgt erst im Rahmen der im 12./13. Jh. als Wissenschaft sich ausbildenden Theologie. Sie setzt ein mit der unter dem bezeichnenden Titel „Scito te ipsum“ vorgelegten E. des Petrus Abaelardus, in der die Willensintention als das moralisch maßgebliche Kriterium betont, gleichwohl aber als die subjektive Vermittlung eines objektiven, von der Vernunft einsehbaren Anspruchs verstanden wird.

Doch erst das (Wieder-)Bekanntwerden der aristotelischen E. provoziert (und ermöglicht) die geforderte umfassendere theologische Fundierung der aus dem Glauben resultierenden sittlichen Ansprüche. Auf den mit der „Nikomachischen E.“ des Aristoteles bekannt werdenden säkularen Entwurf gelingenden Lebens lässt sich, so Albertus Magnus, nur mit einem Konzept reagieren, das das christliche Ethos in ein Verhältnis zu der von Aristoteles beschriebenen praktischen Vernunft des Menschen setzt. Dies geschieht durch Thomas von Aquin, der in „STh II-II“ einen Traktat vorlegt, der die Grundelemente der aristotelischen E. (Handlungstheorie, Vernunft- und Tugendbegriff) sowie den stoischen Gedanken des Naturrechts aufgreift und die Theologische E. als die Entfaltung des auf Gottes Schöpfung und Erlösung antwortenden menschlichen Handelns deutet, wobei er Gottes Handeln als eine die Natur des Menschen rettende und vollendende Gnade versteht. Die Zuordnung von natürlicher Vernunft und Anspruch des Glaubens wird von ihm mit Hilfe einer Hierarchie von Gesetzen (leges) verstanden, in der er im Blick auf die Handlungsleitung des Menschen nicht mehr (wie die an der Stoa orientierte Patristik) von dem ewigen Gesetz (lex aeterna) ausgeht, das im Geist Gottes besteht, vom Menschen als solches aber nicht zu erkennen ist, sondern von der durch eine lex naturalis geleiteten natürlichen Vernunft, die er als die Form ansieht, in der der Mensch am ewigen Gesetz Gottes teilhat und die sich dem Anspruch des Evangeliums und der in ihm enthaltenen lex divina positiva gegenübersieht, woraus das spezifisch christliche Ethos hervorgeht, das sich dementsprechend als eine Tugendlehre beschreiben lässt, die im Horizont der gnadenhaft vermittelten Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe steht, unter denen der Liebe die Rolle der durchformenden Leitgröße (forma virtutum) zukommt.

Durch die Zentralstellung, die J. Duns Scotus der Freiheit der (vernünftigen) Willensbestimmung (als urspr.e Selbstbestimmung) im Gesamt des göttlichen und menschlichen Handelns zuordnet, kommt es zu einer Deutung und zugl. Reduzierung des natürlichen Gesetzes auf das strikt geltende oberste Prinzip der praktischen Vernunft. Die weiteren Gebote Gottes sind dementsprechend als Resultate eines kontingenten, gleichwohl aber anhand der Konsonanz mit dem obersten Prinzip vom Menschen als vernünftig einsehbaren göttlichen Willensaktes (ordinatio dei) zu verstehen.

Die spanische Spätscholastik nimmt den Gedanken des Naturrechts als Vernunftrecht auf (was den Weg für das frühneuzeitliche Naturrechts- und Völkerrechtsdenken eröffnet; Völkerrecht) und versteht – so Francisco Suárez – das natürliche Gesetz als die unbedingte Verpflichtung bei der Beurteilung der jeweiligen Handlung der von der natürlichen Vernunft erfassten recta ratio zu folgen, wobei diese Verpflichtung im Willen des göttlichen Gesetzgebers ihren letzten Grund hat.

Die Handbücher der im Bereich der katholischen Theologie aus der Glaubenslehre sich ausgliedernden und unter dem Titel der theologia moralis sich entwickelnden Theologischen E. der Neuzeit versuchen die naturrechtliche Grundlegung der Theologischen E. mit einer (weniger am Begriff der Tugend als an dem des Gesetzes und der Pflichtenkreise orientierten) Kasuistik zu verbinden, was (in Verbindung mit einem sich auch in sittlichen Fragen als autoritativ verstehenden kirchlichen Lehramt) zu einem die neuzeitliche Aufklärung (sittliche Autonomie; Menschenrechte) entschieden abwehrenden Moralpositivismus führt.

Auf dem Hintergrund der sich an Bibel und Heilsgeschichte orientierenden Ansätze des 19. Jh. (Tübinger Schule) sowie der ersten Hälfte des 20. Jh. (Fritz Tillmann, Bernhard Häring u. a.) kommt es nach der Wende durch das Zweite Vatikanischen Konzil und unter dem Druck der weltweiten moralischen Problemkonstellationen zu Neukonzeptionen, die unterschiedliche theologische Schwerpunkte setzen bzw. verschiedenen philosophischen Referenztheorien folgen. Einflussreich werden im deutschen Sprachbereich (und darüber hinaus) die Versuche, die Theologische E. (bes. im Anschluss an ein Neuverständnis der Lehre des Thomas) als eine normative Theorie zu verstehen, die die gottgegebene (theonome) Autonomie und Freiheit der praktischen Vernunft („Autonome Moral“) mit dem Ethos der (in der Liebe kulminierenden) Gottesherrschaft verbindet (Alfons Auer, Franz Böckle, Wilhelm Korff u. a.), wobei neben die Methode, deontologische mit teleologischen Aspekten zu verbinden, auch der Versuch tritt, den normativen Anspruch rein konsequentialistisch, d. h. allein nach den Folgen zu bemessen, die sich für eine Handlung jeweils in Bezug auf die vorsittlich maßgeblichen Güter und Werte ergeben (Bruno Schüller, Werner Wolbert). Dem stehen Ansätze einer Glaubens-E. gegenüber, die die Theologische E. als eine Hermeneutik der vorgegebenen Normen versteht (Bernhard Stoeckle, Robert Spaemann). Auf die damit einhergehende Kontroverse über das „Proprium der christlichen Moral“ folgt die Entwicklung von Konzeptionen, die der erneuten Zuwendung der allg.en E. zur Frage nach dem gelingenden Leben folgen und die Theologische E. als eine die christliche Lebensform bestimmende Tugend-E. entfalten bzw. dies mit einer normativen Theorie verbinden (Eberhard Schockenhoff u. a.). Der Druck der mit der modernen Zivilisation einhergehenden ethischen Problemkonstellationen (neue Handlungsfelder und Kommunikationsformen, zunehmende Pluralisierung der Lebens- und Ethosformen, Pluralität und Diversität der wissenschaftlichen Deutungen sowie der sinnvermittelnden Angebote) führt dabei zunehmend zu einer den theologischen Anspruch auf die neuen Human- und Sozialwissenschaften beziehenden Theologischen E., wobei das christliche Ethos durch die Betonung der Rolle der subsidiären Ethosbildung eine stärkere Differenzierung erfährt.

Für die evangelische Theologische E. ist eine den verschiedenen Ansätzen im Umkreis der Reformation folgende Entwicklung charakteristisch. Für Martin Luther ist der Ursprung des rechten Handelns nicht das zu erfüllende göttliche Gesetz, sondern die sündenvergebende und damit zu neuem Handeln befreiende Gnade Gottes. Das Gesetz dient in zweifacher Weise (duplex usus legis) der Einsicht des Sünders in seine Erlösungsbedürftigkeit und (in weltlich-politischer Sicht) dem Schutz der äußeren Güter und Ordnungen (Zwei-Reiche-Lehre). Für den durch Gottes Gnade gerechtfertigten Sünder ist das Gesetz nach M. Luther – wie das neue Gesetz (lex nova) bei Thomas – Leitlinie des von Gottes Heiligem Geist bestimmten Handelns. Bei Philipp Melanchthon erfährt die Funktion des Gesetzes, Anleitung für das Leben des Christen zu sein, als tertius usus legis eine bes. Betonung. Bei Johannes Calvin wird dies dominant, indem das Gesetz als die maßgebliche Gestalt der Gerechtigkeit und als der Maßstab betrachtet wird, an dem der Christ seinen Stand vor Gott ermessen kann. Im Zuge der Neuzeit wird Immanuel Kants Wende zum autonomen Subjekt rezipiert, wobei Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher sie in seiner als „Grundwissenschaft“ verstandenen E. mit einer Güterlehre verbindet, die die normative Bedeutung zur Geltung bringt, die der mit der neuzeitlichen Wende sich verändernden kulturellen und sozialen Lebenswelt zukommt sowie einer Tugend- und Pflichtenlehre.

Die evangelische E. der Moderne ist durch Ansätze gekennzeichnet, die ein unterschiedliches Verständnis von Dogmatik und E. zugrunde: Dem Ansatz Karl Barths, der E. als Teil der Dogmatik versteht und unter dem Gesetz das Wort Gottes versteht, das dem menschlichen Handeln zugl. gnadenhaft und normativ vorgegeben ist, stehen Konzeptionen gegenüber, die die Theologische E. als eine von der Vorgegebenheit der Dogmatik bestimmte Regel-E. verstehen (Wilfried Härle), oder die der E. als Theorie der menschlichen Lebensführung im Horizont des Glaubens (Trutz Rendtorff) als theologische Besinnung auf das menschliche Handeln (Martin Honecker) bzw. als Hermeneutik des aus dem Glauben resultierenden Ethos (Johannes Fischer) den Vorrang vor der Dogmatik geben. Wie die katholische greift auch die evangelische Theologische E. der Gegenwart die spezifischen Herausforderungen der Moderne in Form einer Verantwortungs-E. (s. u.) auf.

3. Theologische Ethik als normative Theorie: Das Proprium der Theologischen gegenüber der philosophischen Ethik

Wenn der Anspruch der Offenbarung an das Handeln des Menschen nach christlichem Verständnis den „Standpunkt der Moral“ voraussetzt, ist die normative Entfaltung dieses Anspruchs in Form der Theologischen E. auf dessen Explikation in Form der philosophischen E. verwiesen. Der vom christlichen Glauben ausgehende Anspruch an das Handeln ersetzt nicht den Anspruch der natürlichen praktischen Vernunft, noch wiederholt er nur, was bereits die praktische Vernunft fordert, noch stellt er ein bloßes Additum zu dieser Forderung dar. Denn die Verbindlichkeit kommt den sittlichen Forderungen nicht erst in ihrer Deutung als Gebote Gottes zu. Als normative Theorie kommt Theologische E. deshalb nicht umhin, die (unbedingte) Verbindlichkeit des in der praktischen Vernunft gelegenen obersten moralischen Prinzips und ihrer philosophischen Deutungen vorauszusetzen.

Das Propium der Theologischen E. liegt in der Entfaltung des Sinnhorizontes, in den der christliche Glaube den Anspruch der Moral treten lässt. Denn wenn Gottes Beziehung zum Menschen als Liebe (caritas), d. h. als ungeschuldete und unbedingte Zuwendung zum Menschen gedacht werden muss, erwächst aus dem Glauben an diese Liebe die Ermächtigung zu einem Handeln, das „mehr als Gerechtigkeit“ (Mt 5,20) ermöglicht und – so Thomas – das in der praktischen Vernunft gelegene moralische Gesetz als die auf Gott antwortende, alle moralischen Forderungen integrierende und formende Liebe erscheinen lässt. In diesem Licht gewinnt das moralische Gesetz den Charakter eines neuen Gesetzes, nämlich eines vom Geist Gottes gewirkten und sich nicht mehr nur dem Sollen verdankenden Gesetzes der Freiheit (STh I-II, 106). So ist die Bergpredigt nicht als eine den Menschen überfordernde Sondermoral zu betrachten, sondern als Einladung zu der durch die hereinbrechende Gottesherrschaft möglich gewordenen freien Antwort auf Gottes ungeschuldet auf den Menschen zukommende Liebe.

Das aber bedeutet, dass Theologische E. weder als eine divine command ethics zu verstehen ist, die allererst der sittlichen Forderung ihre Verbindlichkeit verleiht, noch eine exklusive Sondermoral darstellt, wohl aber die sittliche Forderung in einen neuen Sinnhorizont treten lässt, der sich in einem spezifischen Ethos niederschlägt und durch eine E. der Verantwortung beschrieben werden kann, die den normativen Kern in einer Tugend-E. entfaltet.

Der auf diese Weise zu verstehende Sinnhorizont des Glaubens ermöglicht und eröffnet ethische Impulse, die nicht nur dem christlichen Ethos das von der Theologischen E. zu reflektierendes Profil geben, sondern die ihr Potential auch in spezifischer Weise in Bezug auf die von der philosophischen E. reflektierte säkulare universalistische Moral zu entfalten vermögen:

a) Denn das Verständnis des Glaubenden als imago dei lässt den Anspruch der Moral zur individuellen Berufung werden. Der Glaubende erfährt sich als je Einzelner in seiner unverwechselbaren Identität von Gott angesprochen und im Gewissen (Gewissen, Gewissensfreiheit) in die Verantwortung vor ihm gerufen.

b) Als die von Gott in Freiheit gesetzte Person vermag der Mensch die Verantwortung für sein Handeln als Herausforderung zu begreifen, die ihn Verantwortung nicht nur vor, sondern auch für Normen ergreifen lässt und seinem Handeln eine spezifische Innovativität verleiht.

c) Insb. lässt sie den Sinn für jene Güter wachsen, die konstitutiv sind für gelingendes Leben, und die Defizite wahrnehmen, die die Wahrung des Humanen behindern und die Würde des Menschen verletzen.

d) Nicht zuletzt ermöglicht der Glaube an Gottes vergebende Liebe einen neues Handeln eröffnenden Umgang mit der als Sünde erfahrenen Schuld. Es ist die Hoffnung auf Gottes Heil, die vor dem Scheitern zu bewahren vermag, das dem Projekt der E. angesichts der von ihm offen zu lassenden Fragen (wie der vom Menschen nicht zu schließenden Diskrepanz von Pflicht und Glückseligkeit, dem Faktum des Bösen und der verbleibenden Irreversibilität der bösen Tat) ausgesetzt bleibt.

Die bes. Bedeutung, die dem von der Theologischen E. zu entfaltenden ebenso inspirierenden wie innovativen, kritischen wie versöhnenden Potential des christlichen Glaubens im Blick auf die säkulare universalistische E. zukommt, wird auch angesichts der Grenzen deutlich, die einer universalistischen Vernunft-E. gezogen sind. Um Handeln unter den modernen Bedingungen von Pluralität und Diversität zu sichern, wird sie sich auf den normativen Kern beschränken müssen, der sich – wie der Gedanke von Menschenwürde und -rechten – in seiner universalen Verbindlichkeit in Form eines overlapping consensus zur Geltung zu bringen vermag. Doch ist sie zu ihrer Wirksamkeit zugl. – so John Rawls – auf die Einbettung in comprehensive doctrines, d. h. in gehaltvolle Sinngestalten gelingenden Lebens angewiesen, auf die der universalistische Kern verweist, die er aber als solcher nicht vermitteln kann. Denn wenn die comprehensive doctrine normative Impulse zu vermitteln vermag, die wie im Fall des von der Theologischen E. zu entfaltenden Sinnhorizonts sich nicht als voluntaristische Diktate, sondern als kommunikativ einsehbare und mitteilbare Möglichkeiten eines für das je gelingendere Leben offenen Menschseins verstehen, wird sie in bes.r Weise für einen Dialog mit der ihren eigenen Grenzen und Defätismen ausgesetzten universalistischen E. geeignet sein.