Souveränität

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  1. I. Rechtlich
  2. II. Politikwissenschaftlich

I. Rechtlich

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1. Begriff

Der Begriff der S., von „verhängnisvolle[r] Vieldeutigkeit“ (Kelsen 1962: 278), wird unterschiedlich verstanden. Soziologisch gedeutet, wird er nicht selten mit ungehemmter staatlicher Machtentfaltung gleichgesetzt. S. ist aber, wenn der Begriff auch einen empirischen Gehalt aufweisen mag, im Kern ein Rechtsbegriff, der den Staat, dem sie als wesentliches Attribut beigefügt wird, als Rechtssubjekt anspricht, ihm Rechtsmacht über andere oder gegenüber anderen zuspricht, also ein normativ und nicht real begründetes Herrschaftsverhältnis auf den Begriff bringt, dessen Geltung, d. h. normative Existenz, sich empirisch weder demonstrieren noch widerlegen lässt. S. ist kein in der Außenwelt sozialer Tatsachen wahrnehmbares Faktum. Daraus folgt zugl., dass von der Verdeckung, vielleicht praktischen Unmöglichkeit des souveränen Handelns nicht auf das Nichtvorhandensein von S. geschlossen werden darf; denn als Rechtsbegriff fragt S. nicht nach dem Sein der Staatspraxis, sondern nach dem Sollen im Konfliktfall. Umgekehrt gilt, dass S. nicht einfach bei der (Staats-)Macht verortet werden kann, die überlegene Machtmittel besitzt. Das Problem der S. ist keine durch Gewalt entscheidbare Macht-, sondern eine juristisch zu beantwortende Rechtsfrage. Als Rechtsmacht, nämlich als Kompetenz des Staates zur Letztentscheidung, d. h. zur endgültigen Entscheidung in inneren oder äußeren Angelegenheiten, bedeutet S. eine vom Recht verliehene und daher notwendig begrenzte Macht, d. h. eine rechtlich geordnete Gewalt, nicht plein pouvoir.

2. Ideengeschichte

So ist die vom geistigen Vater der S., Jean Bodin, dem französischen König zugesprochene summa potestas keine unspezifizierte Generalvollmacht, sondern ein wenn auch ergänzbares Bündel von Einzelrechten, die zudem unter dem Vorbehalt von unverfügbaren Schranken stehen: Naturrecht, Erbfolgegesetze, vertragliche Bindung, Steuerbewilligungsrecht der Stände. Demgegenüber wollte Thomas Hobbes tatsächlich den englischen König mit unumschränkter Herrschaftsmacht ausstatten („auctoritas [= rex] facit legem“ [Hobbes 1651: II 26]), im Gegensatz zu dem seinerzeitigen, auf dem Zusammenwirken von König und Parlament basierenden gewaltenteilenden politischen System.

3. Souveränität im staats- und völkerrechtlichen Sinne

Bei der Beurteilung der als S. bezeichneten, rechtlichen Qualität der Staatsgewalt ist zwischen der S. nach innen und nach außen, zwischen Staats- und Völkerrecht zu differenzieren.

3.1 Die innere Souveränität des Staates gegenüber den seiner Herrschaft Unterworfenen

Dem Staat kommt die Hoheitsgewalt zu, Akte zu setzen, die für alle seiner Herrschaftsgewalt territorial oder personal Unterworfenen verbindlich sind, insb. Herrschaftsorgane einzusetzen, eine positive Rechtsordnung zu erlassen und dieselbe kraft seines Gewaltmonopols mit seiner legalen Zwangsgewalt durchzusetzen. Er hat in allen öffentlichen Angelegenheiten das Recht der Letztentscheidung, gleich ob dieses im Einzelfall bei der Regierung, Verwaltungsbehörden oder – wie im heute verbreiteten Jurisdiktionsstaat in aller Regel – bei der Fach- und der Verfassungsgerichtsbarkeit liegt.

3.2 Souveränität im Verfassungsstaat?

Im gewaltenteilenden Verfassungsstaat gibt es dagegen keinen Souverän. Eine souveräne Einheit der Staatsgewalt im funktionellen Sinne besteht hier nicht mehr; die Staatsgewalt ist aufgegliedert und auf verschiedene Staatsorgane verteilt. Im Bundesstaat kommt eine vertikale Gewaltenteilung hinzu. Alle pouvoirs constitués besitzen lediglich verfassungsrechtlich begrenzte Zuständigkeiten. Keinem Staatsorgan kommt eine – nicht von anderen Staatsorganen u. U. korrigierbare – ausschließliche Letztentscheidungskompetenz in allen inneren Angelegenheiten des verfassten Staates und damit S. zu.

Man könnte allerdings – in Anlehnung an das berühmte Diktum Carl Schmitts – annehmen, dass in einem Verfassungsstaat „[s]ouverän ist, wer über die Verfassungsinterpretation gebietet“ (Püttner 1984: 573), in einem Verfassungsstaat mit ausgebauter Verfassungsgerichtsbarkeit also das Verfassungsgericht. Aber zum einen kann ein Verfassungsgericht nicht von sich aus tätig werden, entbehrt also der Gestaltungsmacht, zum anderen kann ihm zumindest der verfassungsändernde Gesetzgeber entgegentreten.

Als pouvoir constituant ist das Volk souverän, keinen verfassungsrechtlichen Bindungen unterworfen. Die der Verfassung vorausliegende Volkssouveränität erschöpft sich jedoch im Akt der Verfassungsgebung und ist alsdann, bis zur erneuten Verfassungsgebung, in der Verfassung „aufgehoben“. Innerhalb der gegebenen Verfassungsordnung sind auch dem Volk als pouvoir constitué nur bestimmte Kompetenzen zur Wahrnehmung zugewiesen.

3.3 Staatliche Souveränität im völkerrechtlichen Sinn

In völkerrechtlicher Außensicht, die auf den Staat als Ganzes und seine Position in der Staatengemeinschaft gerichtet ist, bleibt die S. des Staates als einheitliche juristische Person und als einheitliches völkerrechtliches Zurechnungssubjekt erhalten.

S. als völkerrechtlicher Rechtsbegriff meint die unabgeleitete, umfassende Rechtsmacht der voneinander unabhängigen, einander gleichberechtigten und völkerrechtsunmittelbaren Staaten. Staatliche S. bedeutet in völkerrechtlicher Hinsicht zweierlei: erstens die Anerkennung des prinzipiell ausschließlichen und umfassenden Eigenrechts des Staates, mit Bezug auf sein Territorium und gegenüber seinen Staatsangehörigen verbindlich Recht zu setzen und durchzusetzen (Gebiets- und Personalhoheit), d. h. die grundsätzliche Zuerkennung einer Letztentscheidungsbefugnis über Personen und Sachen auf seinem Hoheitsgebiet und über den Status der ihm zuzurechnenden natürlichen und juristischen Personen (sog.e innere S.), zweitens im Außenverhältnis die Befehlsunabhängigkeit von anderen Staaten, die völkerrechtlich die gleiche Rechtsmacht besitzen: par in parem non habet imperium (sog.e äußere S.).

3.3.1 Rechtserzeugung unter der Bedingung souveräner Gleichheit

Die völkerrechtliche Rechtsgleichheit schließt zwischen den koexistierenden Staaten grundsätzlich jeden Rechtsmehrwert des einen gegenüber dem anderen aus und führt dazu, dass in der auf der „souveränen Gleichheit“ (sovereign equality) seiner Mitglieder basierenden Staatengemeinschaft (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta) überhaupt nur konsensuale Rechtserzeugung möglich ist. Auch die Anerkennung gewisser fundamentaler völkerrechtlicher Rechtsregeln als vertraglich nicht disponibles Recht (ius cogens) beruht auf dem Konsens der Staaten.

3.3.2 Souveränität und völkerrechtliche Gebundenheit der Staaten

Es versteht sich von selbst, dass die vom Völkerrecht prinzipiell anerkannte S. der Staaten deren (gleiche) Unterworfenheit unter das Völkerrecht nicht ausschließt oder aufhebt.

Die Eingehung völkerrechtlicher Verpflichtungen beinhaltet nicht, wie vielfach behauptet wird, Beschränkung, Teilverzicht oder Aufgabe von S., sondern stellt gerade deren Ausübung dar. S. als völkerrechtlicher Status bedeutet also keineswegs materiellrechtliche Ungebundenheit. Völkerrechtliche Bindungen beeinträchtigen die S. eines Staates nicht, jedenfalls solange sie – unter bestimmten Voraussetzungen nach den dafür geltenden völkerrechtlichen Regeln – auch wieder einseitig rückgängig gemacht werden können.

3.3.3 Souveränität als Herrschaft im Verfahren

Nicht Freiheit von Bindung, wohl aber Letztentscheidungsbefugnis ist Kennzeichen staatlicher S. Das allg.e Völkerrecht kennt keine obligatorische internationale Gerichtsbarkeit und wegen der souveränen Gleichheit darf kein Staat über einen anderen zu Gericht sitzen: par in parem non habet iudicium. Damit aber liegt die Interpretation der eingegangenen Verpflichtungen und die Art und Weise ihrer Erfüllung in der Hand des jeweiligen Staates.

3.3.4 Souveränität und internationale Zusammenarbeit

Die Gründung von und die Beteiligung an vielen internationalen Organisationen hebt die S. der Staaten im völkerrechtlichen Sinne nicht auf. Internationale Organisationen können nur für ihre Mitgliedstaaten und nur in dem durch den Gründungsvertrag vorgegebenen Rahmen rechtsetzend tätig werden. Hinsichtlich der Willensbildung gilt in den meisten internationalen Organisationen noch immer das Einstimmigkeitsprinzip; Organbeschlüsse entfalten häufig keine rechtlich bindende Wirkung. Dann bleiben die einzelnen Mitgliedstaaten Herren des Verfahrens und behalten ihre Entscheidungs- und Handlungsfreiheit.

Auch die Mitgliedstaaten der supranationalen EU haben ihre S. nicht eingebüßt. Die EU beruht auf völkerrechtlichen Verträgen, mit denen die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer umfassenden staatlichen Hoheitsmacht ausgegliedert und auf der europäischen Ebene auf eine „zwischenstaatliche Einrichtung“ verlagert haben, die dort nach Maßgabe der verliehenen, umfangreichen, aber doch prinzipiell begrenzten Kompetenzen ausgeübt wird. Dieser Ableitungszusammenhang zwischen der prinzipiell unbegrenzten staatlichen Hoheitsgewalt und den begrenzten, durch Austritt auch wieder rücknehmbaren europäischen Hoheitsbefugnissen, der mit dem als europarechtliches Kompetenzverteilungsprinzip fungierenden Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung auf den Begriff gebracht wird, entscheidet die Frage der S. zugunsten der Mitgliedstaaten. Völkerrechtlich liegt die Kompetenz-Kompetenz bei den Mitgliedstaaten.

3.3.5 Die fortdauernde Gültigkeit des Souveränitätsprinzips

Von einem Ende staatlicher S. kann völkerrechtlich betrachtet keine Rede sein. Die Staaten haben ihren bestimmenden völkerrechtlichen Status behauptet und werden ihn aller Voraussicht nach auch in Zukunft behalten, auch wenn sie sich zur Erreichung gemeinsamer Ziele verstärkt international und supranational (Supranationalität) organisieren werden. Eine „Konstitutionalisierung“ des Völkerrechts im Sinne einer strukturellen Annäherung an das verfassungsrechtliche Ordnungsmodell, die eine völkerrechliche Normenhierarchie und eine willensunabhängige Rechtsunterworfenheit der Staaten implizieren würde, hat bisher nicht stattgefunden. Richtig ist, dass sich die Völkerrechtsordnung immer mehr verdichtet und längst auf Regelungsmaterien Zugriff genommen hat, die – wie die Behandlung eigener Staatsangehöriger – herkömmlich zu den inneren Angelegenheiten der Staaten gerechnet wurden, die ihrer völkerrechtlich nicht determinierten Regelungsbefugnis unterfielen. Aber diese inhaltliche Fortentwicklung und Anreicherung des Völkerrechts, auch die Herausbildung eines völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes, hat sich mit und nach dem Willen der Staaten in den überkommenen Rechtsformen des Völkerrechts vollzogen und daher nicht die Grundstruktur der Völkerrechtsordnung als eine herrschaftsfreie, auf die Herstellung des Staatenkonsenses angewiesene Koordinationsordnung verändert.

3.3.6 Kritik des Souveränitätskonzepts und Gegenkritik

Wer S. heute für ein antiquiertes Dogma hält, verweist auf die zahlreichen Abhängigkeiten des heutigen modernen Staates, die diesen zu vielfältigen, auch institutionalisierten Formen intensiver Kooperation mit außerstaatlichen Partnern im Inneren sowie fremdstaatlichen Partnern im völkerrechtlichen Außenverhältnis zwingen. So betrachtet scheint der in seiner eigenen politischen Gestaltungsmacht und Steuerungsfähigkeit (Steuerung) stark eingeschränkte, durchsetzungsschwach gewordene Staat längst nicht mehr souverän. Staaten mangels faktischer Allmacht ihrer Staatsgewalt S. abzusprechen, verkennt jedoch zum einen, dass kein Staat der Welt jemals eine solche S. besessen hat, weder im Staatsinneren noch im Außenverhältnis zu anderen Staaten. Gegenüber (welt-)wirtschaftlichen Vorgängen und Entwicklungen, die in erster Linie von – international gültigen – Marktgesetzen (Markt) bestimmt werden, und gegenüber dem transnationalen Geld- und Kapitalverkehr hat sich (einzel-)staatliche Regulierung stets als mehr oder weniger machtlos erwiesen, ohne dass dies der recht verstandenen, inneren S. der Staaten Abbruch getan hätte. Im Außenverhältnis haben andere Staaten von „gleicher S.“ staatlichem Machtstreben und Herrschaftswillen faktisch immer Einhalt geboten. Im Übrigen verkennt diese Ansicht den Charakter der S. als Rechtsmacht, nämlich als Letztentscheidungsrecht. Juristisch betrachtet erscheint S., entmystifiziert und zugl. entdämonisiert, weniger „gewaltig“, aber immer noch höchst bedeutsam, weil „entscheidend“.

II. Politikwissenschaftlich

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S. ist einer der zentralen Begriffe moderner Politikwissenschaft und politischer Philosophie. Er leitet sich vom im 14. Jh. aufkommenden Begriff suprema potestas (höchste Gewalt) ab und bedeutet die höchste, unumschränkte, direkte, unabhängige und freie Machtausübung in einem Gemeinwesen. Die S. umfasst die gesamte Staatsgewalt. Der Träger der S., der Souverän, besitzt also das Gewaltmonopol in einem Staat.

1. Geschichtlicher Überblick

Der Begriff S. tritt erst in der späten Renaissance bzw. frühen Neuzeit auf. In der Antike, so bei Platon in der „Politeia“, steht die gute Verfassung im Mittelpunkt, die sich an der Seelenlehre orientiert und das Philosophenkönigtum (Plat. pol.: V, 473b-VI, 504a) als Ideal vorsieht: Die Philosophen (philósophoi) sollen Könige, die Könige (basilês) Philosophen werden (Plat. pol.: V, 473c/d). In Platons Spätwerk „Nomoi“ sind die Gesetze Garant eines guten und gerechten Staates. Im mittelalterlichen Denken, so bei Thomas von Aquin, steht der rechtschaffene Monarch (Fürst oder König) an der Spitze eines Herrschaftsbereichs. Regeln für den guten Herrscher finden sich in zahlreichen Fürstenspiegeln, bis hin zu Niccolò Machiavellis „Il principe“ (1532). Geht es bei N. Machiavelli noch um das Aufrechterhalten der Herrschaft, das „mantenere lo stato“ (Machiavelli 1532: XVIII), aufgrund der „virtù“, entwickelt wenig später Jean Bodin die Lehre von der S. in „Les six livres de la République“ (1576). Die wichtigsten Grundlagen seiner Theorie legt J. Bodin in den Büchern I und II dar: Das Gemeinwesen werde durch oberste Gewalt und Vernunft geleitet („summa potestate ac ratione moderata“, Bodin 1576: I 1). Oberste Gewalt setzt J. Bodin mit „maiestas“ (1576: I 8) gleich. Der Souverän besteht je nach Staatsform aus einem einzigen (Monarchie), wenigen (Aristokratie) oder allen (Demokratie). Auf Erden ist der Souverän keiner natürlichen oder juristischen Person untergeordnet, alle Staatsgewalt geht allein von ihm aus. Einzig dem göttlichen Recht oder dem Naturrecht muss sich der Souverän unterordnen. Laut J. Bodin ist der Absolutismus die ideale Staatsform. Für den Staatsrechtler Dieter Grimm stellt J. Bodin in der S.s-Theorie den Wendepunkt schlechthin dar. Auch für Thomas Hobbes manifestiert sich die S. in der unabhängigen und unumschränkten Leitung eines Staates durch einen Einzelnen oder durch eine Gruppe. Der Staat wird zum „Leviathan“, wie T. Hobbes sein politisch-philosophisches Hauptwerk von 1651 überschrieben hat. Dies bedeutet, dass der Staat zu einem „Mortall God“ (Hobbes 1651: II 17), zu einem „sterblichen Gott“ wird. Der vielgliedrige Staatskörper wird von einem einzigen Haupt zusammengehalten und beherrscht, von dem die gesamte S. ausgeht. Der Kern von T. Hobbes’ S.s-Lehre ist die Aussage „auctoritas, non veritas facit legem“ (Hobbes 1668: II 26). Autorität ist in T. Hobbes’ Sinne S. Die freie Ausübung der S. entspricht ihm zufolge dem natürlichen und göttlichen Recht. Er entfernt sich damit von einem Naturrechtsdenken, das in den Strukturen der Natur die transzendente Wahrheit findet, die die Grundlage jeder Gesetzgebung ist. Mit dem Herrschaftsvertrag (Vertragstheorie zwischen Legislative und Exekutive. Eine weitere Aufteilung der S. in drei Gewalten, Legislative, Exekutive und Judikative, findet sich bei Charles de Montesquieu in „De l’esprit des lois“ (1748). Die amerikanische Verfassung setzt im Grundsatz Balance of Power, der auf die checks and balances (No. 51) der „Federalist Papers“ (1788) zurückgeht, die Gewaltenteilung konsequent um. Laut Jean-Jacques Rousseau in seinem „Contrat social“ (1762) geht die S. vom Volk aus. Das Volk wählt nicht ein für alle Mal oder in regelmäßigen Abständen einen Souverän, sondern behält die S. fortwährend bei. Politische Entscheidungen werden durch Abstimmungen herbeigeführt, die die „volonté générale“ (Rousseau 1762: II 1) ermitteln. Diese wird vom „législateur“ (Rousseau 1762: II 7) in ein Gesetz geformt, das bis zur nächsten Abstimmung Gültigkeit hat. Joseph de Maistre stellt J.-J. Rousseau seinen Traktat „De la souveraineté du peuple“ (1794) entgegen, einen „Gegen-Gesellschaftsvertrag“, wie es im Untertitel heißt. Die S. kann J. de Maistre zufolge nur von einem einzigen (Monarchen) ausgehen. Das geltende katholische Kirchenrecht schließlich schreibt der theologischen Tradition folgend dem Papst die S. zu: „[D]eshalb verfügt er kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann“ (can. 331 CIC/1983).

2. Neuere Entwicklungen: Carl Schmitt, Michel Foucault und Giorgio Agamben

Im 20. Jh. prägte der Staatsrechtler C. Schmitt die Lehre von der S. neu. Nicht nur juristisch, auch politikwissenschaftlich ist sein Ansatz von Interesse. Zentral ist seine Aussage in „Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität“: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“ (Schmitt 1934: 11). Dadurch gibt C. Schmitt eine Formaldefinition für die S. bzw. den Souverän, der jederzeit frei über den Ausnahmezustand entscheidet. Je klarer dieser Entscheidungsweg ist, desto besser. Ferner heißt es bei C. Schmitt: „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe“ (Schmitt 1934: 49). Damit leitet sich die S. von der obersten Macht und Gewalt des transzendenten Gottes ab. Diese oberste und unabhängige Macht wird auch auf den Souverän eines säkularen Staates übertragen. Die S. kann ihre Wurzel im Transzendenten (Transzendenz) demnach nicht verleugnen. In der heutigen rechtstheoretischen Debatte wird diese Position mehrheitlich nicht mehr geteilt.

M. Foucault legt seine Überlegungen zur S. in „Surveiller et punir. La naissance de la prison“ (1975) vor. Es geht darin v. a. um Machtverhältnisse und ihre Ausübung sowie um Kontrolle, die nur durch Beobachtung und Strafen möglich ist. Nur durch umfassendes Wissen kann die S. demnach am effektivsten ausgeübt werden. Der Weg zum Totalitarismus ist hier nicht weit, wie M. Foucault betont.

G. Agamben legt mit seiner Lehre von der S. einen Neuansatz vor, der sich insb. auf das AT, die Theologie des Paulus sowie auf die Ansätze C. Schmitts bezieht. In „Homo sacer“ (1995–2015) behandelt G. Agamben anfangs die „Logik der Souveränität“ (Agamben 1995: Kap. 1): S. ist für ihn zutiefst vom Paradox geprägt, dass der Souverän zugl. innerhalb und außerhalb der Rechtsordnung steht. G. Agamben stützt sich auf die transzendente Herkunft höchster Macht, die er bereits in theokratischen Modellen (Theokratie) der Bibel begründet sieht und die bis zum totalitären Durchgriff der Regime des 20. Jh. reicht.

3. Aktuelle Entwicklungen

Zu Beginn des 21. Jh. wird S. in vielen Staaten als Volks-S. aufgefasst: Die S. geht allein vom Volk aus. Modelle direkter Demokratie sind jedoch weniger verbreitet. Das Repräsentativmodell überwiegt. Wahlen bestimmen Repräsentanten auf Zeit, die die S. des Volkes stellvertretend ausüben. Monarchien sind aktuell überwiegend konstitutionell. Das operative politische Geschehen liegt in den Händen eines Parlaments (Parlament, Parlamentarismus), das vom Volk gewählt wird. Zukünftig gewinnen Fragen der Partizipation und Inklusion (Inklusion, Exklusion) größere Bedeutung. Unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen soll möglichst klar und eindeutig die Ausübung der S. eingeräumt werden. Plebiszitäre Elemente (Plebiszit), die dem Einzelnen die Umsetzung seiner S. auf direkterem Wege ermöglichen, könnten zunehmen.