Kirchenrecht

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  1. I. Katholisch
  2. II. Evangelisch

I. Katholisch

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K. ist die in der kirchlichen Communio als verbindlich gewusste gerechte äußere Ordnung.

1. Unterscheidungen

Die Ordnung der Kirche ergibt sich zum einen aus dem inneren Recht der Kirche, zum anderen aber auch aus dem staatlichen Recht bzgl. Kirchen und anderer Religionen. Beide Rechtsbereiche werden als K. bezeichnet.

Die (inner-)kirchliche Rechtsordnung regelt die gegenseitigen Beziehungen der Christgläubigen (d. h. Katholiken) sowohl zu den einzelnen Mitchristen als auch zu christlichen Gemeinschaften, Vereinigungen und Rechtspersonen wie auch zur Kirche insgesamt. Kirchliches Recht kann nur solche Handlungen betreffen, die nicht ohne äußerlich feststellbare Wirkung sind; es kann daher keine Verpflichtungen auferlegen, die sich unmittelbar auf eine bestimmte Gesinnung richten. Auch in der Kirche kann nur eine solche Verpflichtung, die im vollen Umfang erfüllt werden kann, als Rechtspflicht normiert werden. Die Wahrung der kirchlichen Rechtsordnung insgesamt unterliegt der Möglichkeit der Überprüfung durch ein geordnetes Verfahren mit Hilfe der eigenen kirchlichen Gerichtsbarkeit. Die formellen schriftlichen Rechtsquellen in der Kirche heißen „canones“, weswegen das K. auch „kanonisches Recht“ genannt wird. Dementsprechend heißen die Gesetzbücher der katholischen Kirche „Codex Iuris Canonici“ (CIC) und „Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium“ (CCEO).

Die Rechtsverhältnisse der Kirche im Staat werden durch staatliche Gesetze geregelt, traditionell „Staats-K.“, heute unter Einbeziehung der nichtchristlichen Religionen eher (staatliches) Religionsrecht genannt; die gelegentlich verwendete Bezeichnung „Religionsverfassungsrecht“ birgt die Möglichkeit des Missverständnisses, dass die Beziehung des Staates zu den Religionen nur durch die Verfassung geregelt wird. Vom Staat erlassene Gesetze können in der Kirche insoweit anerkannt werden, als sie dem göttlichen Recht nicht widersprechen – und damit auch dem Recht der Kirche auf korporative Religionsfreiheit und auf Kirchenfreiheit. In Bereichen, die Kirche und Staat gemeinsam betreffen (sogenannte res mixtae), können Regelungen auf vertraglichem Weg getroffen werden. Staatskirchenverträge stellen sowohl innerkirchliches als auch staatliches Recht dar; sofern sie grundsätzliche und umfassende Regelungen zum Verhältnis zwischen der Kirche und einem Staat beinhalten, werden sie traditionell „Konkordate“ genannt.

Möglich sind ebenfalls vertragliche Vereinbarungen zwischen der katholischen Kirche und einer anderen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft (z. B. zur gegenseitigen Anerkennung der Taufe), einer (nichtchristlichen) Religionsgemeinschaft oder auch einer anderen Institution. Auch diese gelten innerhalb der katholischen Kirche als innerkirchliches Recht.

Die katholische Kirche ist eine Gemeinschaft von (Teil-)Kirchen (communio Ecclesiarum); deshalb gibt es in ihr auch eine vielfach gegliederte Rechtsordnung. Zu unterscheiden ist v. a. der lateinische vom orientalischen Rechtskreis. Beide Rechtskreise sind durch ein Miteinander von verschiedenen Ebenen kirchlichen Rechts gekennzeichnet, von Universal- und Partikularrecht; letzteres wiederum kann das Recht eines Teilkirchenverbands (z. B. eines Metropolitanverbands oder das von der Bischofskonferenz erlassene Recht eines Plenarverbands) oder einer Teilkirche (v. a. Diözese/Eparchie) sein. Die Achtung vor dem Partikular-K. ist ein besonderes Merkmal katholischen K.s.

Neben dem katholischen K. gibt es auch andere kirchliche bzw. religiöse Rechtsordnungen, z. B. orthodoxes oder evangelisches K.

2. Eigenart kirchlichen Rechts

K. ist wirkliches Recht, nicht Recht lediglich in einem „analogen Sinn“, sondern ebenso wie das Recht dieses oder jenes Staates oder das Völkerrecht eine Art der Gattung „Recht“. K. weist jedoch einige Charakteristika auf, die in weltlichen Rechtsordnungen nicht begegnen. So fehlt dem K., anders als staatlichen Rechtsordnungen, eine physische Zwangsgewalt. K. ist also wirkliches, aber eigengeprägtes Recht, ein Recht sui generis. Da die Kirche mehr ist als nur ein innerstaatlich existierender religiöser Verein, hat sie eine primäre, von staatlichem Recht grundsätzlich unabhängige Rechtsordnung. Die Kirche ist wesentlich eine communio fidelium und zugleich eine communio cum Deo, sie ist eine Rechtsgemeinschaft und mehr als das. Das begründet einige Eigentümlichkeiten des K.s.

Charakteristisch für das K. ist die Kategorie des göttlichen Rechts, das neben dem menschlichen K. gilt. Hierbei handelt es sich um eine unmittelbare Konsequenz aus dem Faktum, dass das K. aus dem Glauben der Kirche hervorgeht und dem Glauben und der Gemeinschaft der Glaubenden zu dienen hat. Ius divinum ist demnach der Inbegriff jener Rechtssätze, die direkt auf göttlichen Willen zurückgeführt werden, während das ius mere ecclesiasticum jene Rechtssätze umfasst, die aus dem Rechtsetzungswillen des kirchlichen Gesetzgebers oder der Recht schaffenden Gewohnheit der Rechtsgemeinschaft hervorgehen. Unter göttlichem Recht wird zweierlei verstanden: einerseits das durch die Vernunft erkennbare Naturrecht (natürliches göttliches Recht, ius divinum naturale), anderseits das nicht ohne weiteres aus der Vernunft ableitbare Offenbarungsrecht (positives göttliches Recht, ius divinum positivum). Mit der Bezeichnung ius divinum naturale wird zum Ausdruck gebracht, dass auch das Naturrecht letztlich Gott, den Schöpfer, zum Urheber hat. Aus der Natur, v. a. der Natur des Menschen, der Menschenwürde, ergeben sich rechtliche Forderungen, die mit der menschlichen Vernunft (Vernunft – Verstand) erkannt werden können, z. B. das Recht auf Leben oder die Forderung nach Gleichbehandlung gleicher Fälle. Aus der Offenbarung, der im Licht der kirchlichen Tradition betrachteten Heiligen Schrift, ergeben sich z. T. grundlegende, z. T. sehr ins Einzelne gehende rechtlich bedeutsame Erkenntnisse, bspw. der Primat des Bischofs von Rom. Göttliches Recht ist in sich unwandelbar, kann aber im Laufe der Geschichte immer besser erkannt werden. Das menschliche Recht, das auch dazu dienen soll, das göttliche Recht anwendbar zu machen, ist dagegen grundsätzlich wandelbar, aber auf die stets gleiche Sendung der Kirche orientiert und durch die Bedingungen des (unwandelbaren) göttlichen Rechts begrenzt.

Das Faktum, dass das K. eine kommunikative Ordnung ist, eine Rechtsordnung, die nicht durch ein schlichtes Verhältnis von Befehlenden und Gehorchenden, sondern durch die Struktur der communio (communio fidelium und communio hierarchica) geprägt ist, ergibt sich die Bedeutsamkeit der Beziehung von Gesetz und Gewohnheit einerseits und von Gesetzgebung und Rezeption andererseits in der Ordnung der katholischen Kirche. Zu K. kommt es nicht einfach durch die Anordnung der kirchlichen Autorität; diese bedarf vielmehr zu ihrer Wirksamkeit der Annahme durch die Gemeinschaft der Gläubigen; ein nicht rezipiertes Gesetz verliert auch den Anspruch auf Geltung. Außerdem hat in der Kirche die Gewohnheit eine bes. Bedeutung. Aus der mit dem Willen zur Schaffung von Recht geübten Rechtsgewohnheit einer passiv gesetzesfähigen Gemeinschaft kann geltendes Recht werden, wenn sie ohne Widerspruch seitens des Gesetzgebers über den im Gesetz definierten Zeitraum geübt wird (bei außergesetzlicher und widergesetzlicher Gewohnheit 30 Jahre).

Neben den jeder Rechtsordnung zukommenden Funktionen, für Ordnung in der Rechtsgemeinschaft zu sorgen und die subjektiven Rechte der Rechtsunterworfenen zu schützen, hat das K. Anteil an der heilsmittlerischen Sendung der Kirche. Es dient der Authentizität des von der Kirche verkündigten Wortes Gottes und der von ihr gefeierten Sakramente und so auch dem Heil der Christgläubigen. Das wird deutlich an der Aussage des letzten can. des CIC/1983, dass das Heil der Seelen in der Kirche immer das höchste Gesetz sein muss. Der Dienst des K.s an der Heilsvermittlung schlägt sich auch in der Bemühung um Verwirklichung von Gerechtigkeit im Einzelfall nieder. Mittel der Einzelfallgerechtigkeit sind

a) die Dispens, also die Befreiung von der Verpflichtung durch ein rein kirchliches Gesetz in einem begründeten Einzelfall, sodann

b) die aequitas canonica, die kanonische Billigkeit, die von der kirchlichen Autorität bei der Anwendung kirchlichen Rechts Mäßigung („Augenmaß“) fordert, und

c) die Epikie, die es dem vom Gesetz Betroffenen in besonderen Fällen erlaubt, ein rein kirchliches Gesetz nicht zu beachten.

Mit der heilsmittlerischen Aufgabe der Kirche und damit auch des K.s hängt eine weitere Eigenart kirchlichen Rechts zusammen: die Unterscheidung des inneren vom äußeren Rechtsbereich (forum internum und forum externum). Auch wenn Recht grundsätzlich das betrachtet, was nach außen hin in Erscheinung tritt, gibt es in der Kirche die Möglichkeit rechtlicher Entscheidungen, die faktisch nicht nach außen hin greifbar werden (Handeln in foro interno, z. B. Befreiung von einer Exkommunikation im Bußsakrament).

3. Legitimität kirchlicher Rechtsordnung

Seit der Bestreitung der Möglichkeit von K. durch den protestantischen Juristen Rudolph Sohm bemüht sich die katholische wie die protestantische K.s-Wissenschaft um den Nachweis der Legitimität kirchlicher Rechtsordnung. Dies kann aus katholischer Sicht nur gelingen durch den Blick auf das Wesen der Kirche, das sich in den Wesensvollzügen der Kirche zeigt, nämlich in Wort und Sakrament und – wie seit Benedikt XVI. zu ergänzen ist – auch in der kirchlichen Diakonie (Caritas, Diakonie). Wie v. a. Klaus Mörsdorf gelehrt hat, haben Wort und Sakrament eine rechtliche Dimension. Aber auch der Diakonie kommt eine solche rechtliche Dimension zu (Liebe und Wahrheit, Liebe und Ordnung, Schutz und Förderung der Liebesordnung der kirchlichen Communio). Der Ansatz einer theologischen Grundlegung des K.s muss übergehen in eine Theologie des K.s (Rechtstheologie), die eine aus theologischer Perspektive erfolgende Befassung mit den kirchlichen Gesetzen und den anderen Rechtsquellen der Kirche fordert; K.s-Wissenschaft ist (zumindest auch) eine theologische Disziplin.

4. Formelle Rechtsquellen

Schon die Schriften des AT und des NT wurden von den Gläubigen als Quellen nicht nur ihres Glaubens, sondern auch für die Ordnung der Kirche verstanden. Insb. seit dem Ende der Christenverfolgungen erließen gesamtkirchliche und teilkirchliche Synoden und Konzilien Anweisungen, die als Canones bezeichnet wurden, und so entstanden schon früh die ersten Canonessammlungen. Seit dem Erstarken des römischen Bischofsstuhls gab es immer mehr päpstliche Dekretalen, die ebenfalls gesammelt wurden. Das Anwachsen des Rechtsstoffes und die damit verbundene Unübersichtlichkeit machten es notwendig, die Rechtsquellen systematisch zu ordnen. Darum und um die Beseitigung von Widersprüchen bemühte sich um 1140 der Bologneser Magister Gratianus mit seinem Werk „Concordia discordantium canonum“ (dem sogenannten „Decretum Gratiani“), das wegen der Vielzahl der ausführlich zitierten Rechtsquellen zum Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem kanonischen Recht wurde. Nach und nach kamen weitere Dekretalensammlungen hinzu (Liber Extra Decretum [1234]; Liber Sextus Bonifatii VIII. [1298]; Clementinae [1317]; Extravagantes Joannis XXII. [1325/1500] und Extravagantes Communes [1500/1503]), die mit dem „Decretum Gratiani“ zum „Corpus Iuris Canonici“ zusammenwuchsen.

In der Folgezeit kam es zu einer Vielzahl von weiteren konziliaren (bes. durch das Konzil von Trient) und päpstlichen Rechtsquellen, so dass es sehr schwierig wurde, Übersicht über den Rechtsstoff zu behalten, der zudem z. T. obsolet geworden war. So wurde vor und auf dem Ersten Vatikanischen Konzil die Forderung nach einer Neufassung der kirchlichen Gesetze laut, wobei von manchen sogar die ausdrückliche Forderung nach einer Kodifikation, also einer Zusammenfassung der kirchlichen Rechtssätze in einem einheitlichen Gesetzeswerk, erhoben wurde. Papst Pius X. gab 1904 den Auftrag zu einer Kodifikation des kanonischen Rechts; nach jahrelanger Arbeit – z. T. durch den Ersten Weltkrieg erschwert – wurde am 27.5.1917 der CIC erlassen, der am 19.5.1918 in Kraft getreten ist.

Erst mehrere Jahre danach, am 15.6.1927, begannen die Arbeiten an einer Kodifikation des Rechtes der katholischen Ostkirchen, die jedoch nur z. T. erfolgreich zu Ende geführt werden konnten. Zwischen 1949 und 1957 erließ Papst Pius XII. einige Teilstücke des kodifizierten orientalischen Rechts in der Gestalt von Apostolischen Schreiben MP: das Eherecht (MP Crebrae allatae, 22.2.1949), das Prozessrecht (MP Sollicitudinem nostram, 6.1.1950), das Ordensrecht, das Vermögensrecht und Normen über die Festlegung wichtigerer Begriffe (MP Postquam apostolicis litteris, 9.2.1952) sowie das Verfassungsrecht (MP Cleri sanctitati, 2.6.1957). Die weitere Promulgation von Teilen des Codex des orientalischen kanonischen Rechts unterblieb, weil Papst Johannes XXIII. kurz nach seinem Amtsantritt ein Ökumenisches Konzil und eine Reform des kanonischen Rechts ankündigte.

Das Zweite Vatikanische Konzil machte tatsächlich eine Reform des kirchlichen Rechts unumgänglich. Unter Papst Paul VI. begonnen, wurde die Revision des CIC durch Papst Johannes Paul II. mit der Promulgation des CIC/1983 vom 25.1.1983 abgeschlossen. Seit dem 27.11.1983 ist der CIC/1983 in Kraft. Auch die Kodifikation des Rechts der katholischen orientalischen Kirchen wurde unter Paul VI. begonnen und mit der Promulgation des CCEO am 18.10.1990 zu ihrem Ende geführt; er erlangte Rechtskraft am 1.10.1991.

Die Gesetzbücher der katholischen Kirche sind zwar unter Beteiligung nicht nur kanonistischer Fachleute, sondern auch des Weltepiskopats entstanden. Sie sind dennoch vom Papst allein als Träger der höchsten apostolischen Vollmacht und als Gesetzgeber der gesamten katholischen Kirche erlassen worden.

Anders als der CIC/1917 und die Teilkodifikationen des orientalischen K.s unter Pius XII. wurden sowohl der CIC/1983 als auch der CCEO jeweils mit Genehmigung des Apostolischen Stuhls in verschiedene moderne Sprachen übersetzt. Zwischenzeitlich kam es bereits mehrmals zu Änderungen der in CIC/1983 und CCEO enthaltenen Gesetze.

Neben CIC/1983 und CCEO gibt es in der katholischen Kirche weitere gesamtkirchliche Gesetze, v. a. zu Spezialfragen wie z. B. das Gesetz über die Römische Kurie „Pastor bonus“. Auch das liturgische Recht, das sich v. a. in den Praenotanda der liturgischen Bücher findet, stellt universales K. dar. Kirchliche Gesetze werden im Regelfall in dem offiziellen Publikations- und Promulgationsorgan des Apostolischen Stuhls, den AAS, promulgiert.

Teil-K. wird im Rahmen der jeweils übergeordneten Rechtsordnungen von den Bischöfen als den Gesetzgebern in ihren Teilkirchen erlassen, gelegentlich auch von Synoden und Partikularkonzilien (Plenarkonzil, Metropolitansynode). Die Bischofskonferenz hat nur in den ihr ausdrücklich zugewiesenen Bereichen eine Kompetenz, sogenannte Allgemeindekrete (d. h. Gesetze) zu erlassen. Partikular-K. ist in den Amtsblättern der Diözesen zu promulgieren; auch einzelne Bischofskonferenzen haben eigene Amtsblätter.

5. Kirchenrechtswissenschaft

Der K.s-Wissenschaft kommen verschiedene Aufgabenbereiche zu:

a) Aufgrund der zumindest praktisch immer noch wirksamen Bestreitung der Legitimität des K.s durch R. Sohm bedarf es der Bemühung um eine theologische Grundlegung des K.s.

b) Die K.s-Geschichte ermöglicht es, das Werden kirchlicher Rechtsinstitute zu erkennen und so dem Sinn gesetzlicher Regelungen näher zu kommen.

c) Die systematische K.s-Wissenschaft (K.s-Dogmatik) hat zunächst eine analytische Aufgabe, nämlich die Feststellung des geltenden Rechts und die Auslegung der Gesetzestexte, die jedoch stets unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden theologischen Erkenntnisse zu erfolgen hat; die synthetische Aufgabe der K.s-Dogmatik besteht im Ausbau eines kanonistischen Systems und im Aufweis des inneren Zusammenhangs der gesetzlichen Regelungen. Dies ermöglicht dem Kanonisten zugleich die kritische Beobachtung und Begleitung der kirchlichen Gesetzgebung.

Bekannt ist die Formulierung von K. Mörsdorf: „Die Kanonistik ist eine theologische Disziplin mit juristischer Methode“ (Mörsdorf 1964: 36). Hiermit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Methode der K.s-Wissenschaft Anteile theologischer und juristischer Art zugleich hat. Hierbei kommt allerdings den theologischen Erkenntnissen eine entscheidende Rolle zu, weil für das K. ebenso wie für die Kirche selbst der Glaube maßgeblich ist, welcher ein Gegenstand theologischer Forschung ist. So kann die Formel von K. Mörsdorf mit Winfried Aymans folgendermaßen genauer gefasst werden: „Die Kanonistik ist eine theologische Disziplin, die gemäß den Bedingungen ihrer theologischen Erkenntnisse mit juristischer Methode arbeitet“ (Aymans/Mörsdorf 1991, Bd. 1: 71).

Die Notwendigkeit theologischen Arbeitens wird schon anhand des engen Zusammenhangs zwischen dem CIC/1983 (und ähnlich auch dem CCEO) und dem Zweiten Vatikanischen Konzil deutlich. Die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils sind als Teil des Kontextes der geltenden Gesetzbücher anzusehen; die Bedeutung der in den Gesetzen verwendeten Wörter ergibt sich z. T. aus den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das Programm einer „Ent-Theologisierung“ des K.s ist daher deshalb nicht sachgemäß, weil das K. von vorneherein „theologisch“ ist und nur in theologischer Weise angemessen interpretiert werden kann.

II. Evangelisch

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1. Ordnung der Kirche

K. ist die verbindliche Ordnung des kirchlichen Handelns, wie sie von der Kirche selbst hervorgebracht wird. Es ist damit auch „die Form, in der sich die Gemeinschaft der Getauften im Vertrauen auf die verheißene Gegenwart Gottes darüber verständigt, welches kirchliche Handeln als geistlich angezeigt verantwortet werden soll“ (Germann 2016: 80). Das evangelische K. begegnet in Deutschland v. a. als das Recht der Landeskirchen, die in der EKD zusammengeschlossen sind. Aber auch die evangelischen Freikirchen haben, wenn auch in unterschiedlichem Grade, eine Rechtsordnung ausgebildet.

Die richtige Verortung des K.s setzt einen differenzierten Kirchenbegriff voraus. Mit dem Begriff „Kirche“ wird eine äußerst komplexe Wirklichkeit bezeichnet. Zu unterscheiden ist die geistliche Gemeinschaft (ecclesia spiritualis), die Gegenstand des Glaubens ist und der alle wahrhaft Gläubigen angehören, von der leiblichen Gestalt der Kirche (ecclesia universalis), die sich im Vollzug der Kommunikation des Evangeliums insb. durch Wortverkündigung und Sakramentsfeier manifestiert und der alle Getauften zugeordnet werden können, sowie die Kirche in ihrer geschichtlichen Realität, in der die Kirche den Menschen nicht schlechthin, sondern in räumlicher und zeitlicher Konkretion als ecclesia particularis begegnet. Dem K. kommt es zu, der Kirche in ihrer geschichtlichen Realität eine Ordnung zu geben, in der die geistliche Gemeinschaft leibliche Gestalt gewinnen kann. Durch diese Differenzierung des Kirchenbegriffs können göttliches und menschliches Wirken ebenso unterschieden werden wie die rechtliche Ordnung vom geistlichen Leben. Beide Unterscheidungen sind notwendig, um Möglichkeiten und Grenzen des K.s zu bestimmen.

Indem das K. v. a. als Rechtsordnung einer Partikularkirche zutage tritt, diese jedoch stets als Teil und konkrete Erscheinungsform der Universalkirche zu begreifen ist, eignet allem K. auch eine ökumenische Dimension. Diese Ökumenizität des K.s zeigt sich daran, dass in verschiedenen Kirchen zu wesentlichen Fragen vergleichbare Regelungen getroffen werden, dass die partikularen Rechtsordnungen Regelungen mit Bezug auf die Mitglieder anderer Partikularkirchen enthalten und dass mehrere Partikularkirchen vertragsweise oder aufgrund gemeinsamer Ordnungen gemeinsames K. setzen. Die transpartikulare Rechtsetzung findet ihre Grenze an konfessionellen Differenzen. Im Übrigen kann sie so weit entwickelt werden, wie es zweckmäßig erscheint. Da die Einheit der Kirche jedoch nicht durch ihre Rechtsordnung, sondern durch die Übereinstimmung in den Grundvollzügen von Verkündigung und Sakramentsfeier gegründet ist (Art. 7 des Augsburger Bekenntnisses), besteht auch kein Zwang zu umfassender ökumenischer Rechtsetzung.

2. Geschichte

In der Geschichte des evangelischen K.s lassen sich drei große Epochen unterscheiden. Erste Ansätze rechtlicher Ordnung lassen sich bereits im NT ausmachen, z. B. mit der Einsetzung von Armenpflegern (Apg 6), Diakonen und Aufsehern (Phil 1,1) oder der Anweisung, wie Rechtsstreitigkeiten zwischen Gemeindegliedern zu behandeln sind (1 Kor 6). Weitere Ordnungsbildung ist im frühchristlichen Schrifttum auszumachen: Didache, 1 Clem, Ignatiusbriefe, „Traditio Apostolica“ und Apostolische Konstitutionen. Für die kirchliche wie die gesamteuropäische Rechtsentwicklung gewann die Sammlung des Kanonischen Rechts, beginnend mit dem „Decretum Gratiani“ (1140) über verschiedene weitere Rechtssammlungen bis zu ihrer Zusammenfassung im &pfv;„Corpus Iuris Canonici“ (1582), weitreichende Bedeutung.

Mit der Reformation und der Etablierung des landesherrlichen Kirchenregiments wurde das K. Teil der vom Landesherrn zu verantwortenden öffentlichen Ordnung. Durch Visitationen und die Inkraftsetzung von Kirchenordnungen sorgten die Landesherren für die Einführung und Durchsetzung der Reformation in ihren Territorien. Das kanonische Recht blieb als weitere Rechtsquelle bestehen. Das landesherrliche Kirchenregiment wurde zunächst darin begründet, dass bischöfliche Rechte auf die Landesherren als Notbischöfe übergegangen sind (Episkopalismus). Später wurde es unmittelbar aus dem territorialen Souveränitätsanspruch abgeleitet (Territorialismus). Mit dem Kollegialismus wurde zwischen hoheitlicher Kirchenaufsicht (ius circa sacra) und Kirchengewalt (ius in sacra), die die eigenen Angelegenheiten einer Kirchengesellschaft betraf, unterschieden. Das landesherrliche Kirchenregiment wurde mit der seit der Reformation bestehenden Übung begründet, dem Landesherrn als hervorgehobenem Glied der Kirche Kirchengewalt zu übertragen.

Mit dem Kollegialismus setzte die Ablösung des K.s vom staatlichen Recht ein. Durch Presbyterial- und Synodalordnungen wurden während des 19. Jh. zunehmend eigenständige kirchliche Organe gebildet, denen allmählich immer mehr Aufgaben zuwuchsen. Mit dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments, der Trennung von Staat und Kirche und der Garantie des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften in der WRV von 1919 wurde die Notwendigkeit einer eigenständigen kirchlichen Ordnung auch der evangelischen Kirche manifest. Infolgedessen haben sich die Landeskirchen in den Jahren bis 1926 Kirchenverfassungen gegeben, die fortan die Grundlage für die weitere Entwicklung des K.s darstellten.

3. Verhältnis zum staatlichen Recht

Die insb. in der Mitte des 20. Jh. geführte Diskussion, ob für Kirche und Staat ein einheitlicher (monistischer) oder ein prinzipiell unterschiedlicher (dualistischer) Rechtsbegriff zugrundezulegen ist, ist sinnvollerweise in die Frage zu überführen, in welcher Hinsicht Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen staatlichem und kirchlichem Recht bestehen. Prinzipiell ist K. Recht wie anderes Recht auch. Für seine Hervorbringung, Anwendung und Durchsetzung werden im Wesentlichen die gleichen Methoden und Verfahren angewendet.

Zugleich ist K. eigenständig und eigengeartet. Das deutsche Verfassungsrecht gibt dieser Tatsache Raum, indem nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV die Religionsgesellschaften ihre Angelegenheiten selbständig ordnen und verwalten können. Das schließt die Möglichkeit zu eigener Rechtsetzung ein, die sich nach den Grundlagen der betreffenden Religionsgesellschaft richtet und bürgerliche Wirksamkeit erfährt, soweit sie innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes bleibt. K. ist eigenständig, soweit es durch eigene Organe der Kirche hervorgebracht, angewendet und gewährleistet wird (s. u. 6.). Seine Eigenständigkeit endet, sobald es der zwangsweisen Durchsetzung bedarf, wie sie aufgrund seines Gewaltmonopols nur der Staat durchführen kann. K. ist insofern eigengeartet, als seine Legitimität und Gestaltung von den Grundlagen der Kirche bestimmt werden, wie sie sich aus Schrift und Bekenntnis erheben lassen.

Auf das kirchliche Handeln ist nicht allein das K., sondern auch staatliches Recht anzuwenden, soweit es sich als Schranke des für alle geltenden Gesetzes darstellt, d. h. dem legitimen Schutz eines Rechtsguts dient, ohne das Selbstverständnis der Kirche unverhältnismäßig zu beeinträchtigen. Darum wird staatliches Recht v. a. bei denjenigen Vollzügen relevant, die auch bei anderen Akteuren stattfinden und aus säkularer Perspektive nicht oder nicht vorrangig religiös bestimmt sind.

4. Gegenstände

Gegenstand des K.s ist das kirchliche Handeln. Dazu gehören zunächst die für die Kirche konstitutiven Vollzüge der Kommunikation des Evangeliums, d. h. Gottesdienste, die prinzipiell öffentlich stattfinden, Amtshandlungen, die einen individuellen Kasus öffentlich begehen, und Seelsorge, die individuell und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Als Frucht eines lebendigen Glaubens treten sodann die vitalen Vollzüge hinzu. Bezogen auf einzelne Menschen kann unterschieden werden, ob es um die Hilfe angesichts äußerer Nöte (Caritas, Diakonie) oder die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung (Bildung) geht. Bezogen auf das Gemeinwesen ist der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche zu nennen. Konstitutives und vitales Handeln der Kirche ist von personellen, sächlichen und organisatorischen Voraussetzungen abhängig, deren Bereitstellung schließlich Gegenstand des disponierenden Handelns ist. Als Querschnittsdimension kann außerdem das kirchenleitende Handeln erfasst werden, das auf die Gestaltung aller kirchlichen Handlungsfelder gerichtet ist.

Das K. trifft Regelungen über die inhaltliche Gestaltung des Handelns, über die Beteiligung von Menschen an diesem Handeln, über die Organisationsstruktur, in der das Handeln stattfindet, und über die Verwendung der Ressourcen. Durch Instrumente der Aufsicht, der Visitation und eine kirchliche Gerichtsbarkeit trägt es Sorge für die Durchsetzung des K.s und die Konsistenz des kirchlichen Handelns. Außerdem wird die weitere Entwicklung des K.s ihrerseits durch K. geordnet. K. erfasst damit die drei Dimension der Rechtsgestaltung, Rechtspraxis und Rechtsgewährleistung.

5. Subjekte

Das K., als Ordnung kirchlichen Handelns begriffen, wirft neben der Frage, worin dieses Handeln besteht, gleichermaßen die Frage auf, wer dieses Handeln vollzieht. Recht ordnet die Teilnahme solcher Handelnder durch die Zuordnung von Rechten und Pflichten. Menschen oder Organisationen, die von einer Rechtsordnung in der Weise anerkannt sind, dass bei ihnen eine solche Zuordnung stattfinden kann, haben Rechtsfähigkeit, sie sind Rechtssubjekt. Anders als im staatlichen Recht, wo subjektive Rechte ihren sachlichen Grund in der Anerkennung der sittlichen Person als Zweck an sich haben und der Verwirklichung eigener Interessen dienen, sollen subjektive Rechte im K. dazu helfen, allen, die am kirchlichen Handeln beteiligt sind, den nötigen Einfluss zur besseren Verwirklichung des kirchlichen Auftrags zu sichern. „Ein Recht in der Kirche ist die dem einzelnen im Interesse des richtigen kirchlichen Handelns zugewiesene Position“ (Pirson 1982: 122).

Zur Frage, was das Kriterium der Rechtsfähigkeit im K. ist, werden im Wesentlichen zwei Ansätze vertreten. Zum einen wird die kirchliche Rechtsfähigkeit ausschließlich an die Taufe als Ausdruck der Teilhabe an Auftrag und Verheißung der Kirche geknüpft. Ungetaufte können dann vom K. aufgrund dessen „bürgerlicher Wirksamkeit“ betroffen sein (Germann 2016: 75). Zum anderen wird die Einbeziehung in das kirchliche Handeln als das vorrangige Kriterium angesehen. Dabei kann die Rechtsstellung danach differenziert werden, ob jemand an diesem Handeln rezeptiv, produktiv oder ordnend teilnimmt und ob er Teil der dieses Handeln verantwortenden Partikularkirche oder der Universalkirche ist, der alles kirchliche Handeln letztlich zugerechnet wird. Ob hierfür jeweils die Taufe vorauszusetzen ist, kann dann mit guten theologischen Gründen unterschiedlich beantwortet werden und ist insofern auch Gegenstand der Rechtsgestaltung, die von der Gemeinschaft der Getauften getragen wird.

Für natürliche Personen ist zumindest nach dem zweiten Ansatz zwischen der durch die Taufe begründeten Gliedschaft am Leib Christi und dem Rechtsverhältnis der Kirchenmitgliedschaft zu unterscheiden. Das Recht der Kirchenmitgliedschaft knüpft diese an die Merkmale Taufe, evangelisches Bekenntnis und Wohnsitz oder anderweitige Zuordnung zu einer Partikularkirche. Kirchenmitglieder haben das Recht, kirchliche Ämter zu übernehmen und wirken durch Wahlen (Kirchliche Wahlen) an deren Besetzung mit. Sie haben die Pflicht, durch gesetzlich geordnete Abgaben das kirchliche Handeln mitzutragen und zu fördern.

Juristische Personen des K.s sind Organisationen, die am kirchlichen Handeln beteiligt und Teil der verfassten Kirche sind oder mit ihr in Verbindung stehen und durch das K. als Rechtsperson gebildet oder anerkannt worden sind. Sie sind in die kirchliche Ordnung eingebunden und nehmen an ihrer Entwicklung, Praxis und Gewährleistung teil. Dies geschieht durch die Anwendung des K.s, Teilnahme an der Visitation und Teilhabe an der Leitung der Kirche durch Vertretung in den Leitungsorganen oder bes. Organe. Eine juristische Person des K.s ist fähig, Beteiligter eines kirchlichen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens zu sein und erfüllt die Voraussetzungen für die Zuwendung kirchlicher Mittel.

6. Rechtsetzung und -gewährleistung

Die Formen, in denen K. erlassen wird, unterscheiden sich kaum vom staatlichen Recht. K. wird durch kirchenleitende Organe in einem bestimmten Verfahren erlassen und nach der Ausfertigung in einem kirchlichen Amtsblatt publiziert. Auf der Grundlage von Kirchenverfassungen (Kirchenordnungen) werden von den Synoden Kirchengesetze, von den Kirchenleitungen Verordnungen und Richtlinien und von jeweils zuständigen Organen Satzungen erlassen. Ein Vorbehalt des Gesetzes besteht nur, soweit er im K. vorgeschrieben ist. Da die Synoden nur zu wenigen Tagungen im Jahr zusammenkommen, können die Kirchenleitungen gesetzesvertretende Verordnungen erlassen, die der Synode auf der nächsten Tagung vorzulegen sind.

Einen kirchenspezifischen Regelungstypus stellen die Lebensordnungen dar. Sie betreffen den Gottesdienst, die Amtshandlungen und das weitere kirchliche Leben. Sie ordnen das kirchliche Handeln durch die „Wahrnehmung der Situation“ und „Biblische Grundlagen und theologische Orientierung“ sowie „Regelungen“, die sich zumeist auf formale Gesichtspunkte, Verfahren und Zuständigkeiten beschränken, und tragen so dem geistlichen und kommunikativen Charakter dieser Vollzüge Rechnung.

Für die Gestaltung des K.s kommt den Landeskirchen Rezeptionsautonomie zu. Sie entscheiden, welche kirchliche Ordnung für sie und ihre Untergliederungen gilt und inwieweit andere kirchliche Organisationsebenen Normen für diese Landeskirche erlassen können. Die landeskirchlichen Zusammenschlüsse können aufgrund deren Zustimmung (EKD, UEK) bzw. ihrer Mitgliedschaft (VELKD) Kirchengesetze mit Wirkung für die Landeskirchen erlassen.

Zur Gewährleistung des K.s unterliegen Funktionsträger und juristische Personen des K.s einer kirchlichen Aufsicht (Kirchenverwaltung). Außerdem haben die Landeskirchen eigene Kirchengerichte eingerichtet oder sich der Gerichtsbarkeit eines landeskirchlichen Zusammenschlusses angeschlossen. Aufgrund der Justizgewährleistungspflicht des Staates besteht darüber hinaus auch die Zuständigkeit staatlicher Gerichte, die bei der Entscheidung über kirchliche Angelegenheiten allerdings das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV zu beachten haben.

7. Positivität und Legitimität

Um den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen K. und staatlichem Recht Rechnung zu tragen, legt sich die Anwendung eines positivistischen Rechtsbegriffs (Rechtspositivismus) nahe. Rechtsnormen gelten danach, weil sie im vorgesehenen Verfahren von der zuständigen Stelle als solche erlassen worden sind oder anerkannt werden. Die Fragen nach seiner moralischen Richtigkeit und sozialen Durchsetzbarkeit sind davon zu unterscheiden. Damit können Rechtsnormen prinzipiell jeden beliebigen Inhalt haben, solange dies mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Das Recht kann gestaltet und geändert werden. Normen gelten nur, solange keine abweichende Norm erlassen wird.

Die Frage nach dem „richtigen Recht“ ist dann im Prozess der Rechtsgestaltung zu bearbeiten. Dabei kann sich die Eigenart des K.s entfalten. Denn K. ist gestaltbares, aber nicht beliebiges Recht. Es kann nicht beliebiges kirchliche Handeln als geistlich verantwortbar angesehen werden, sondern nur solches, das dem entspricht, was die Kirche ihrem Wesen nach zu sein hat. Alles K. ist darum an den Auftrag der Kirche gebunden, wie er sich aus Schrift und Bekenntnis ergibt. „Alle kirchliche Ordnung steht […] im Koordinatenkreuz von Bekenntnis und christlicher Gestaltungsfreiheit“ (Link 2000: 84).

Schrift und Bekenntnis sind selbst jedoch keine Rechtstexte, sondern Artikulation dessen, was sich Menschen im Glauben als Wahrheit erschlossen hat. Ihre Normativität entfaltet sich nicht rechtlich, sondern diskursiv-hermeneutisch. Bekenntnisfragen können auch nicht mit Mehrheit entschieden werden, sondern bedürfen eines magnus consensus. Damit kommen Schrift und Bekenntnis auch nicht als Rechtsquelle im Sinne eines ius divinum in Betracht. Schon allein, dass nach Art. 7 des Augsburger Bekenntnisses von 1530 die Grundvollzüge der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung als hinreichend für die kirchliche Einheit angesehen werden, steht einer weiteren Determinierung kirchlicher Ordnung entgegen.

Gleichwohl lassen sich aus Schrift und Bekenntnis Aussagen über die Kirche entnehmen, die in eine rechtliche Ordnung überführt werden können. Dazu gehört, dass die Grundvollzüge der Kirche stattzufinden haben, dass keine partikulare Konkretion der Kirche für sich bleiben kann und dass die Lehre der Kirche um der Reinheit der Verkündigung willen gepflegt werden muss. Die Kirche muss darum aus Bekenntnisgründen Gottesdienst-, Lehr- und Organisationsordnungen ausbilden.

Dies geschieht durch kirchliche Rechtsetzung. „Wir haben das ius divinum immer nur in der Form des ius humanum“ (Dombois 1961: 511). Die Bindung des kirchlichen Handelns an Schrift und Bekenntnis wird durch die Rechtsetzung mediatisiert. Schrift und Bekenntnis haben dabei die Funktion einer Rechtserkenntnisquelle, die nicht nur bei der Gestaltung, sondern auch bei der Anwendung des K.s wirksam werden kann. Sie bilden den Diskurshorizont kirchlicher Rechtsgestaltung. Damit besteht ein notwendiger, aber nicht unvermittelter Zusammenhang zwischen dem K. einerseits sowie Schrift und Bekenntnis andererseits.

K. ist Recht wie in jeder anderen Rechtsordnung auch. Doch durch seine Bindung an Schrift und Bekenntnis findet es eine inhaltliche Füllung und Bestimmtheit, die es wiederum von anderen Rechtsordnungen unterscheidet. Diese materielle Gebundenheit des K.s macht seine Eigengeartetheit aus.