Völkerrecht

1. Zur Einstimmung: Eine definitorische Annäherung

Das V. ist so alt wie das Bedürfnis des Menschen – des berühmten aristotelischen zoon politikon –, sich in Gemeinwesen zusammenzuschließen. Seit jeher lebt die völkerrechtliche Entwicklung von und aus gruppendynamischen Prozessen politischer Gemeinschaftsbildung, die sich weder linear rekonstruieren noch mit einem universell-menschheitlichen Narrativ unterlegen lassen. Zu heterogen sind die jeweiligen Perspektiven auf das V., zu komplex und in ihrem Verlauf asymmetrisch bleibt seine Genese. Schon der Terminus als solcher ist nicht frei von Unschärfen, suggeriert er doch, die Völker seien seine maßgeblichen Subjekte, und unterschlägt damit die nach wie vor zentrale Rolle der Staaten für eine rechtlich geordnete internationale Gemeinschaft. Zurückführen lassen mag sich der Begriff auf das ius gentium des römischen Rechts, im 16. Jh. mit „Recht der Völker“ übersetzt. In der Zeit spanischer Dominanz wurde das ius inter gentes gebräuchlich. Nach 1648 stand das ius publicum Europaeum für eine eurozentrische Perspektive der V.s-Wissenschaft, die bis heute noch Anklang in der Formel von den civilized nations aus Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut findet. Das französisch geprägte V. des 18. Jh. akzentuierte den Staat respektive dessen Souveränität und lässt sich am treffendsten als „Zwischenstaaten-Recht“ oder „Zwischen-Souveränitäten-Recht“ deuten. Neutraler spricht die heutige V.s-Wissenschaft vom „internationalen öffentlichen Recht“. Sein zentrales Thema ist die Einheit der V.s-Ordnung in einer heterogenen, multipolaren und multikulturellen Welt.

So könnte ein erster, freilich nicht unumstrittener Definitionsversuch lauten: V. ist die Summe all der Rechtsnormen, die die Rechtsbeziehungen zwischen V.s-Subjekten regeln, ohne deren internem Recht zuzugehören. Je stärker dabei in materieller Hinsicht Interessen der Völkergemeinschaft als solcher die Interessen der Nationalstaaten überlagern, umso größeres Gewicht gewinnen der Gemeinschaftsgedanke und die Kooperationsidee. Erste verfassende Strukturen (im zwingenden V., dem sogenannten ius cogens, in den Menschenrechten und bei der kollektiven Friedensicherung) werden greifbar.

2. Entwicklungsgeschichte

2.1 Erste Staatsbildungsprozesse

Früheste Anzeichen von Staatenbildung, freilich in einem vormodernen Sinne, können bereits mit der Wende vom 4. zum 3. vorchristlichen Jahrtausend im Nildelta (Ägypten) und Zweistromland (Mesopotamien) ausgemacht werden. Diese Form der (Stadt-)Staatenbildung bedingte erste Rechtsbeziehungen zwischen geografisch definierten Einheiten. Ratio solcher Verrechtlichungsprozesse war, ohne bereits eine echte V.s-Ordnung auszuformen, die Beherrschung von Raum und die Ermöglichung stabiler Handelsbeziehungen. Erste Belege für vertragsbasierte zwischenstaatliche Abmachungen liefern Urkunden über Grenzkonflikte zwischen den Stadtstaaten Lagasch und Umma im heutigen Irak (ca. 25. Jh. v. Chr.). Von einer näher konturierten „V.s-Ordnung“ kann jedoch allenfalls ab Entstehung der Großmächte im Alten Orient (15.–12. Jh. v. Chr.) gesprochen werden. Wechselseitige Anerkennung als ebenbürtige Souveräne findet in dieser Epoche mit der Anrede „Bruder“ sinnenfälligen Ausdruck. Die „Bruderschaft der Herrscher“ (Ziegler 2007: 22) formte über hellenistische und persische Vermittlungslinien von der Spätantike über das Mittelalter bis in die europäische Neuzeit einen Teil des internationalen Zeremoniells und kann als sehr früher, noch weit entfernter Vorläufer des heute geltenden Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Nr. 1 UN-Charta) bezeichnet werden.

2.2 Völkerrechtsordnung der Antike

Im 8. Jh. v. Chr. beginnt die Zeit der großen griechischen Kolonisation, die bis ins 6. Jh. v. Chr. hineinreicht. Hier bildet sich die für die altgriechische Welt prägende Staatsform der Polis heraus: im Inneren autonome, nach außen souveräne Stadt- oder Gemeindestaaten. Mit der Wende vom 7. zum 6. Jh. v. Chr. war die von souveränen Poleis bestimmte altgriechische Staatenwelt so stark konsolidiert, dass man auch hier von einer echten V.s-Ordnung sprechen kann. Literarisches Zeugnis davon geben die homerischen Epen „Ilias“ und „Odyssee“. Sie bilden Krieg und Frieden – klassische V.s-Topoi – in denkbar großer Bandbreite ab. Ein Beispiel ist der in der „Ilias“ geschilderte Vertrag zwischen den Griechen und Trojanern. Feierlich geschlossen und mit „völkerrechtlichem“ Anspruch legt er fest, den Krieg durch einen alles entscheidenden Zweikampf zwischen Menelaos und Paris zu beenden. Die Entwicklung Roms vom Stadtstaat zur Vormacht im gesamten Mittelmeer-Raum hält, teilweise parallel zur griechischen Entwicklung, noch weitergehende völkerrechtsstiftende Momente vor. Im Zentrum des römischen Kriegsrechts stand der indes erst später auf diesen Begriff gebrachte „gerechte Krieg“ (bellum iustum). Erstmalig wurde Krieg als Rechtsvorgang begriffen. Vorläufer des Diplomatenwesens entstehen: Die Staatspriester des Kollegiums der Fetialen waren die ursprünglichen Sprecher und Abgesandten des römischen Volkes. Sie standen unter dem Schutz der Götter und galten daher bei ihrer Amtstätigkeit als unverletzlich. Durch die Römer hat das Gesandtschaftswesen eine wichtige juristische Ausprägung erhalten: Der Grundsatz, dass fremde Gesandte in keinem Fall angetastet werden dürfen (Unverletzlichkeit), wurde in Rom zur bindenden Regel des V.s erhoben.

2.3 Mittelalter und Neuzeit

Im Mittelalter prägen personale Herrschaftsverbände, keine territorial radizierten Staaten den europäischen Kontinent. Aus dem Dualismus der beiden Universalgewalten von Kaiser und Papst erwachsen konfliktreich-konkurrierende Weltherrschaftsaspirationen. Byzanz kennt genauso differenzierte Staatsverträge wie das lateinische Abendland. Bündnisse, Friedensverträge, Freundschaftsverträge und Handelsabkommen begegnen in großer Zahl. Die islamische V.s-Lehre ist vor dem Hintergrund der Entstehung des islamischen Weltreiches im 7. Jh. zu betrachten. Ihr Kennzeichen wird die untrennbare Verbindung von Recht und Religion. Wie im Judentum sind auch im Islam die „Schriftgelehrten“ zugleich Theologen und Juristen. Der Kampf gegen „Ungläubige“ war für die Muslime Glaubenskrieg und damit heiliger Krieg (Dschihad). Indes formuliert das islamische V. frühe Schranken der Kriegsführung. Den Glaubenskriegern war es verboten, Frauen und Kinder, Alte und Kranke sowie Mönche, die nicht am Kampf teilnahmen, zu töten. Auch die unnötige Zerstörung und Verwüstung, wie etwa das Abhauen eines Obstbaumes, bleibt untersagt. Das europäische ius in bello sollte sich erst viele Jahrhunderte später durchsetzen.

Die christlichen W…urzeln des westlich-europäischen V.s spielen indes eine zentrale Rolle. Den römisch-rechtlichen Gedanken des bellum iustum vereinnahmten die Kirchenväter wie Augustinus oder Isidor von Sevilla, auch Thomas von Aquin für die christliche Welt und verliehen ihm ein theologisches Fundament. Der Grundsatz pacta sunt servanda findet sich im kanonischen Recht (Kirchenrecht). Doch erwiesen die Konflikte zwischen Kaiser und Papst im Hochmittelalter das Konzept einer im christlichen Glauben begründeten katholischen Universalmonarchie früh als brüchig. Das eurozentrische Ideal einer universitas Christiana konnte den mit der Entdeckung Amerikas verbundenen neuen Wirklichkeiten nicht auf Dauer standhalten. Religiös fundierte wichen territorial bestimmten Mustern der Herrschafts- und Ordnungsbildung.

So entsteht mit dem Westfälischen Frieden (1648) der moderne Territorial- bzw. Nationalstaat. Herrschaftsorganisation geht vom Personenverband mit seinen Lehensstrukturen in ein territorial definiertes Staatsgefüge über. Zugleich mit dem modernen Staat feiert das neuzeitliche V. seine Geburt. Hugo Grotius wird oft als dessen „Vater“ apostrophiert. Europas politische Ordnung beruht nun auf souveränen, territorial abgegrenzten und formal gleichberechtigten Staaten. In diesem System hält der Souverän das Gewaltmonopol. Das Prinzip der staatlichen Souveränität sollte selbst weitreichende politische Umwälzungen wie die Französische Revolution, die Oktoberrevolution in Russland und zwei Weltkriege überstehen. Im Zeitalter des Kolonialismus nahm das Souveränitätsverständnis europäischer Großmächte hegemonialen und ausbeuterischen Charakter an: Lokale politische Einheiten in den kolonialisierten Gebieten galten als minderwertig, die völkerrechtliche Rechtfertigung fand der Kolonialismus in der auf Emer de Vattel zurückgehenden Lehre vom Niemandsland, terra nullius. Die Überhöhung der Nation im 19. Jh. und ihre Pervertierung durch den Nationalismus lässt die rechtliche Neuordnung der internationalen Beziehungen nicht unberührt. Den Weg für eine entsprechende Neuorientierung hatte schon der Völkerbund bereitet.

2.4 Völkerbund und Weltkriege

„Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“. So untermauert die Präambel der UN-Charta von 1945 – in Anspielung auf das berühmte „We, the people“ der US-Bundesverfassung – ihren Anspruch zur Neugestaltung der Nachkriegsordnung. Das heutige UN-System (Vereinte Nationen) ist ohne seinen historischen Vorgänger, den Völkerbund, indes nicht denkbar. Geschaffen durch die Friedensverträge von 1919/20 (Pariser Vorortverträge) nahm er, der „Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen“ und der „Gewährleistung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit“ (Präambel) verpflichtet, 1920 seine Arbeit auf. Erstmals wurde ein „Ständiger Internationaler Gerichtshof“ in Den Haag eingerichtet, heute durch den IGH am selben Ort abgelöst. Der Erfolg des Völkerbunds blieb bescheiden, zumal seine Initiatoren, die USA, ihm nie beitraten. Spätestens mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war sein Mandat gänzlich hinfällig. Umso größere Wirkungsmacht entfaltete die Idee einer rechtlich geordneten Gemeinschaft von Staaten, die ihrerseits große Vorbilder kennt. Vorgezeichnet bei H. Grotius in „De iure belli ac pacis“ (1625) dachte sie Immanuel Kant in seinem Traktat „Zum ewigen Frieden“ (1795) idealistisch fort: „Das Völkerrecht soll auf einen Föderalismus freier Staaten gegründet sein“ (Kant 1923: 354; sogenannter „Zweiter Definitivartikel“).

Den Erschütterungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs begegnet die Staatengemeinschaft mit einem allgemeinen Verbot militärischer Gewalt, das schon im Briand-Kellog-Pakt des Jahres 1928 angelegt war, zu Völkerbundzeiten aber scheiterte. Erst im Jahre 1945 konnte dieses Gewaltverbot, heute zwingendes V., in Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta verankert werden. Auch der Friedensbegriff (Frieden), lange Zeit negativ auf die Abwesenheit militärischer Gewalt reduziert, wandelt sich zu einem sehr viel umfassenderen Gebot der Friedenswahrung. Der „Kalte Krieg“ sollte manche Hoffnungen auf eine neue Weltordnung rasch dämpfen. Doch sei nicht übersehen, dass die Dekolonialisierung und der institutionalisierte Menschenrechtsschutz zu den Erfolgsgeschichten aus der zweiten Hälfte des 20. Jh. gehören. Der seit dem Fall der Mauer (1989) geweckte Optimismus auf eine fortschreitende Konstitutionalisierung der internationalen Beziehungen weicht in der gegenwärtigen Krise des Multilateralismus neuer Skepsis. Neue Zugänge zum V. wie die „Post-colonial Studies“ (Postkolonialismus) oder die „Third World Approaches to International Law“ stellen eurozentrische Perspektiven auf das V. in Frage.

3. Rechtsqualität und Geltungsgrund

Die Zweifel an seiner Rechtsqualität sind so alt wie das V. selbst. Der V.s-Realismus sieht zwischenstaatliche respektive internationale Beziehungen als von Macht- und nicht von Rechtsverhältnissen bestimmt. Dem V. fehlt die für das nationale Recht typische, zumeist durch eine Verfassung verbriefte zentrale Rechtssetzungsgewalt – in Demokratien das Parlament – und die mit staatlichem Hoheitsanspruch einhergehende Rechtsdurchsetzungsmacht. Es kann nicht auf den Willen eines wie auch immer gearteten Souveräns (im Absolutismus der Monarch, im demokratischen Verfassungsstaat das Volk) als Geltungsgrund (Geltung) seiner normativen Setzungen verweisen. Ein auf nationalstaatliche Subordinationsbeziehungen verengter Rechtsbegriff griffe jedoch zu kurz. So werden für die normative Bindungskraft naturrechtliche Begründungen (Naturrecht) gegeben, in der spanischen Spätscholastik (Scholastik) unter Verweis auf das in Natur manifeste göttliche Gebot (Francisco de Vitoria, Francisco Suárez), im rationalistischen Naturrecht der Aufklärung unter Verweis auf die Vernunftbegabung des Menschen. Einen naturrechtsskeptischen Weg gehen normativistische und positivistische Ansätze (Hans Kelsens „Grundnorm“ [1934: 66], Dionisio Anzilottis Staatswillenslehre). Die Anerkennung des V.s als bindende Rechtsordnung beruht heute im Wesentlichen auf zwei Begründungssträngen: einmal dem Konsens zwischen den Staaten und dem Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität). Das Konsensprinzip bedeutet nicht, dass jeder einzelne der heute über 190 Staaten jeder einzelnen Regel des V.s ausdrücklich zugestimmt haben muss. Der Konsens bezieht sich vielmehr auf die Begründung des V.s-Systems als solchen, d. h. auf das Rechtserzeugungsverfahren und die Geltungsbegründung. Signifikanter Ausdruck des Konsenses ist die vertragliche Übereinkunft (völkerrechtlicher Vertrag). Gewohnheitsrecht beruht auf langer Übung (longa consuetudo), die von einer Überzeugung rechtlicher Verpflichtung (opinio iuris) getragen ist. Zwar erstreckt sich die Bindung auch auf Staaten, die nicht ausdrücklich an einer bestimmten Praxis beteiligt waren, doch bleibt dem persistent objector die Möglichkeit, sich dem Gewohnheitsrecht durch beharrliche und ausdrückliche Negation der Bindung zu entziehen. Die einzige ganz wesentliche Durchbrechung des Konsensprinzips stellt das auf wenige Grundsatznormen beschränkte zwingende V. (ius cogens) dar. Es kann weder durch Widerspruch seiner Bindungskraft entkleidet noch vertraglich abbedungen werden. In jüngerer Zeit stößt auch ein anthropozentrischer Ansatz auf Zustimmung, der den Menschen als schutzbedürftiges Individuum in den Mittelpunkt stellt und in ihm den Geltungsgrund des V.s erkennt.

Gegenstand dogmatischer Auseinandersetzung ist seit jeher das Verhältnis zwischen V. und nationalem Recht. An den Polen der Debatte stehen sich die Lehren des Monismus und des Dualismus gegenüber. Während der Monismus grundsätzlich von einer einheitlichen Rechtsordnung ausgeht, stehen sich laut Dualismus zwei nebeneinander existierende, grundsätzlich voneinander unabhängige Rechtsordnungen gegenüber. Der ehemals mit Nachdruck geführte Theorienstreit ist inzwischen relativiert: In der Staatenpraxis der Gegenwart sind nationale und internationale Rechtsordnungen zumindest partiell so miteinander verflochten, dass weder eine Trennung noch eine Vereinheitlichung dem tatsächlichen rechtlichen Integrationsstand gerecht werden würde.

An die Frage des Geltungsgrundes knüpft die Frage nach wirksamen Durchsetzungsmechanismen an. Die Staatengemeinschaft hat differenzierte Wege gefunden, mit der Durchsetzungsfrage umzugehen. Eine allumfassende V.s-Gerichtsbarkeit gibt es nicht. Ansätze zur Effektuierung sind dennoch vielfältig. Sie reichen von klassischen Mechanismen wie Verfahren vor internationalen Tribunalen (einschließlich der Schiedsgerichtsbarkeit) oder Monitoring bis hin zu öffentlichem „naming, blaming and shaming“ (van Aaken 2013: 256). Nationale oder regionale Gerichte agieren mitunter als „Treuhänder“ des V.s. Aller Geltungsskepsis zum Trotz suchen die maßgeblichen Akteure die Stabilität der internationalen Ordnung durch ein Minimum effektiver Spielregeln zu sichern. In den Worten von Louis Henkin: „Almost all nations observe almost all principles of international law and almost all of their obligations almost all of the time“ (Henkin 1979: 47).

4. Rechtssubjekte und -quellen

4.1 Völkerrechtssubjekte

Als V.s-Subjekt bezeichnet man Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten, deren Verhalten unmittelbar durch V. geregelt wird. Art und Umfang der V.s-Subjektivität variieren trägerspezifisch. Unbeschränkte Subjekte des V.s sind ausschließlich die Staaten. Sie, die nach wie vor wichtigsten Akteure auf internationaler Ebene, werden als „originäre“ oder „geborene“ V.s-Subjekte bezeichnet. Atypische V.s-Subjekte wie der Heilige Stuhl, der Malteserorden und das IKRK (Rotes Kreuz) verdanken ihre Rechte- und Pflichtenstellung geschichtlicher Entwicklung. Internationale Organisationen sind ebenfalls Subjekte des V.s. Da bei ihnen die Subjekteigenschaft stets vom Willen ihrer (staatlichen) Mitglieder abhängt, ist sie nicht „angeboren“, sondern abgeleitet („gekorene V.s-Subjekte“). Im Wege einer Neukonfiguration staatlicher Souveränität durch den universellen Menschenrechtsschutz ist auch der einzelne Mensch Regelungsgegenstand – nicht nur Objekt, sondern in gewissen Grenzen aktives Subjekt – des V.s geworden. Ein signifikantes Beispiel gibt die Menschenrechtsbeschwerde nach Art. 34 EMRK. Schließlich zeigt sich die Subjektstellung in der Normierung individueller völkerstrafrechtlicher Verantwortlichkeit (Völkerstrafrecht).

4.2 Rechtsquellen

Der Rechtsquellenbegriff adressiert den Ursprung eines Rechtssatzes. Als (formelle) Rechtsquellen gelten diejenigen Normengrundlagen, aus denen verbindliche Rechte und Pflichten der V.s-Subjekte resultieren. Neben dem Ursprung umfasst die „Rechtsquelle“ auch die prozedurale Genese eines Rechtssatzes. So ist, ungeachtet seiner stabilisierenden Wirkung auf die internationalen Beziehungen, das V. selbst einem Prozess beständigen normativen Wandels unterworfen. Primäre Erzeuger des V.s sind die Staaten. Sie stützen sich dabei auf drei formelle Rechtsquellen, die in Art. 38 Abs. 1 des IGH-Statuts aufgeführt sind: völkerrechtliche Verträge, Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze. Die Entscheidungen internationaler Gerichte und die Lehrmeinungen der führenden Völkerrechtler ergänzen die formellen Rechtsquellen um eine für die Auslegung und Anwendung des V.s unverzichtbare Rechtserkenntnisquelle. Der Kanon aus Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut ist nicht abschließend gemeint. So bestehen daneben weitere völkerrechtsrelevante Quellen, die aufgrund ihrer fehlenden unmittelbaren Bindungswirkung als soft law bezeichnet werden. Dazu rechnen etwa Resolutionen der UN-Generalversammlung, unverbindliche Richtlinien (guidelines), codes of conduct und Übereinkünfte ohne konkreten Rechtsbindungswillen. Wo es an der Bereitschaft zu verbindlicher Regelung (noch) fehlt, kann soft law Überzeugungen und (Rechts-)Ansichten der beteiligten Akteure zum Ausdruck bringen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann daraus einmal hard law erwachsen. Zudem spielt soft law eine Rolle bei der Auslegung verbindlichen Rechts und der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht.

Unter den formellen V.s-Quellen kommt den völkerrechtlichen Verträgen die größte praktische Bedeutung zu. Gewiss dient vertragliche Einigung in hohem Maße den Interessen der beteiligten Parteien. V. a. multilaterale Verträge aber vermögen über die partikulare Interessenverwirklichung auch dem Interesse der (Staaten-)Gemeinschaft als solcher Rechnung zu tragen, indem sie internationale (Teil-)Rechtsordnungen schaffen (Menschenrechtsregime, Umweltregime, Welthandelsregime etc.) und so, jedenfalls segmenthaft, eine regelbasierte internationale Ordnung konstituieren. Trotz zunehmender Kodifikation verbleibt dem Gewohnheitsrecht ein breitgefächertes Anwendungsfeld über den (bi- oder multilateralen) vertraglichen Konsens hinaus. Die für Entstehung und Bestand von Gewohnheitsrecht konstitutiven Merkmale wurden schon genannt: eine hinreichend lang andauernde allgemeine Übung (consentudo, Staatenpraxis) und deren Anerkennung als Recht (opinio iuris). Gefordert wird schließlich die rechtssatzmäßige Formulierbarkeit des so gewonnen Rechts. Als dritte formelle Quelle treten die allgemeinen Rechtsgrundsätze hinzu. Es handelt sich um aus den staatlichen Rechtsordnungen durch wertenden Rechtsvergleich ermittelte, auf den überstaatlichen Bereich übertragbare Wert- und Systementscheidungen, die sich durch ihren hohen Abstraktionsgrad auszeichnen und gerade deshalb progressiver V.s-Fortbildung Vorschub leisten können. Anerkannt sind bspw. das Prinzip von Treu und Glauben (Treu und Glauben), das Verbot des Rechtsmissbrauchs oder die Schadensersatzpflicht bei Vertragsverletzung. Darüber hinaus, auch das wurde schon angesprochen, gehen sowohl die völkerrechtliche Literatur als auch die Staatenpraxis von der Existenz zwingender V.s-Normen (ius cogens) aus. Unabhängig vom Konsens stehen sie nicht zur Disposition der völkerrechtlichen Akteure. Der gesicherte Bestand des ius cogens ist auf wenige Normen beschränkt: das Gewaltverbot, das Piraterieverbot (Piraterie), der Völkermord als das schwerste völkerrechtliche Verbrechen, die Achtung der elementarsten Menschenrechte, das Verbot des Sklavenhandels (Sklaverei) sowie der rassistischen Diskriminierung. Ausmaß und Grenzen dieser Verbote sind im Detail schwierig zu bestimmen. Strittig ist insb., ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker (Art. 1 Nr. 2 UN-Charta) als ius cogens gilt.

5. Regelungsbereiche

Seinen Regelungsbereich lässt der Begriff V., wie einleitend skizziert, nicht prima facie erkennen. Regelungsbereich und Regelungsziele des V.s hängen voneinander ab. An erster Stelle zu nennen sind die Wahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit. V. will aber auch den Einzelnen schützen, Armut bekämpfen, den freien Welthandel fördern, bestehende wirtschaftliche und soziale Ungleichheit ausgleichen, global commons wie die Hohe See, den Meeresboden oder den Weltraum gemeinsam verwalten, seinen Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz leisten, für nachhaltige Entwicklung eintreten etc. Mit den globalen Herausforderungen sind die völkerrechtlichen Regelungsbereiche kontinuierlich gewachsen. Von den Ursprüngen des V.s her rühren noch immer seine Regeln über diplomatische und konsularische Beziehungen. Das ius ad bellum hat sich indes stärker zu einem ius contra bellum gewandelt. Sein Dreh- und Angelpunkt ist das Gewaltverbot aus Art. 2 Nr. 4 UN-Charta, relativierbar (allein) durch Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates nach Art. 39 UN-Charta oder das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UN-Charta. Der NPT soll sicherstellen, dass Nuklearwaffen (ABC-Waffen) über die sogenannten Atommächte hinaus keine Weiterverbreitung finden. Im (internationalen) bewaffneten Konflikt (Krieg) gilt das historisch gewachsene und heute auch kodifizierte humanitäre V. (ius in bello). Ein weiteres zentrales Regelungsgebiet des V.s ist das Recht der Internationalen Organisationen. Es entspringt den internationalen Verwaltungskommissionen und Friedenskongressen des 19. Jh. V. a. die Unrechtserfahrungen mit totalitären Regimen (Totalitarismus) haben die Menschenrechtsfrage virulent gemacht und zur Etablierung universell- bzw. regionalvölkerrechtlicher Menschenrechtsregime beigetragen (Menschenrechte). Das Wirtschafts-V. umfasst das Recht des Welthandels, den Investitionsschutz, den Währungs- und Finanzverkehr etc. Mit der immer weitergehenderen Ausdifferenzierung des V.s (von der Rechtsstellung Geflüchteter bis zum Recht der Wanderarbeitnehmer, vom allgemeinen Umwelt- bis zum spezifischen Klimaschutz, vom Freihandel bis zum Entwicklungs-V.) verbunden sind notwendig bereichsspezifische Besonderheiten. Will es nicht in fragmentierte Teilordnungen zersplittern, die ihrer eigenen Sachlogik folgen, bedarf es einer V.s-Ordnung, die sich durch Einheitlichkeit, Widerspruchsfreiheit sowie Geschlossenheit auszeichnet und an der Idee einer übergreifenden international rule of law orientiert.

6. Zur Zukunft: Global Governance und Konstitutionalisierung

Um die dynamische Entwicklung des V.s zu beschreiben, sind manch neue Sprachbilder entstanden. Wer von „Weltrecht“ (Emmerich-Fritsche 2007) statt von V., von global law, „Transnational law“ (Jessup 1956) statt public international law oder mit Emphase von einem „Common law of all Mankind“ (Jenks 1958) respektive Menschheitsrecht spricht, weiß, dass die immer stärker fortschreitende Globalisierung mehr oder weniger aller Lebensbereiche in der überkommenen Textur des staatlichen bzw. internationalen Rechts keinen hinreichenden Rückhalt mehr findet. Wer indes glaubt, allein mit neuer Semantik einer neu zu beschreibenden und immer neu zu erklärenden Welt zugleich ein neues normatives Gewand zu geben, der irrt. Dazu bedarf es vielmehr konkreter und v. a. wirklichkeitsbezogener Anstrengungen. Eine mit Gewaltmonopol und Legitimität ausgestattete zentrale Weltregierung existiert nicht – jedoch kann von einem System globalen Regierens gesprochen werden, das die Politikwissenschaft und ihr folgend die V.s-Wissenschaft als Global Governance (Governance) bezeichnet. Dieser nicht ganz konturscharfe Terminus verweist auf die Gesamtheit der kollektiven Regelungen, die auf globale Problemlagen oder Sachverhalte reagieren. Neben dem zu regelnden Inhalt umfasst sind auch die Normen, die den Prozess beschreiben, mit dessen Hilfe eine Regelung zustande kommt und durchgesetzt wird. Globales Regieren wirft dabei Legitimationsfragen auf, denen die (V.s-)Wissenschaft mit Gedanken zu Konstitutionalisierung zu antworten versucht. Dekonstitutionalisierende Kräfte wirken dem entgegen. Dennoch gilt es „Modellvorstellungen für ein institutionelles Arrangement [zu] entwickeln, das neuen Formen des Regierens in entgrenzten Räumen eine demokratische Legitimation sichern kann“ (Habermas 2008: 9).

7. Eine abschließende Bemerkung zum Verhältnis von Völkerrecht und deutschem Recht

Das GG weist dem V. eine grundlegende und mitgestaltende Rolle im deutschen Verfassungssystem zu. Die V.s-Freundlichkeit des GG, vom BVerfG immer wieder postuliert, folgt schon aus dem Präambeltext: „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Art. 25 Abs. 1 GG macht die allgemeinen Regeln des V.s – dazu rechnen das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze – zu Bestandteilen des Bundesrechts. Ihnen wird ein besonderer Rang zwischen dem Verfassungsrecht und dem einfachen Bundesrecht zugewiesen (Übergesetzesrang). Völkerrechtliche Verträge müssen nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 in innerstaatliches Recht umgesetzt werden und erhalten damit den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Bloße Verwaltungsabkommen (Art. 59 Abs. 2 S. 2) können ohne Bundestagsbeteiligung selbständig von der Exekutive abgeschlossen werden. Für das Recht der EU (Europarecht), das eine Teilordnung des Völkerrechts formt (ECLI:EU:C:1963:1 [25] – van Gend & Loos), hält Art. 23 GG Sonderregelungen vor.